Unter denen, die sich, teils unter beachtlichen Entbehrungen, zum Segelfliegen bekennen, sind überdurchschnittlich viele Männer. Zumeist solche, die zudem in technisch-rationalen Berufen sozialisiert wurden. Ingenieure und Techniker, am Handwerklichen begeisterte, Studierende technischer Fächer und artverwandte Gruppen, die das Segelfliegen zu dem machten, was es heute (technisch gesehen) ist. Daher auch die Flucht in das technische Vokabular und die alles beherrschende Quantifizierung. Nur einmal in 20 Jahren traf ich auf einem Flugplatz einen Künstler, einen Opernsänger, der sich diesem Hobby verschrieben hatte. Von den „echten“ Segelfliegern wurde er fast wie ein Zombie behandelt. Menschen, die sich mit logischen und technischen Dingen beschäftigen, mögen der Welt viele wichtige Ideen beigesteuert haben. Sie können gut mit Formelsammlungen umgehen. Worte jedoch fehlen ihnen meist. Da ich ein technisches (zufällig Luft- und Raumfahrttechnik) und geisteswissenschaftliche Fächer (Philosophie, Anthropologie, Soziologie) studiert habe, kenne ich beide Welten.
Daher möchte ich versuchen, dem Erlebnis Segelfliegen neue Worte zu geben und diese mit anderen zu teilen. Mehr als ein mühsames Tasten kann das nicht sein. So wie aber ein Flügelprofil dutzende, ja vielleicht hunderte Male neu berechnet werden muss, müssen die Worte, sollen sie denn wirklich passen, immer wieder in mühsamen Experimenten dem Nichts, der Lethargie und der Bequemlichkeit abgerungen werden. Für Worte gibt es keine Formeln. Sie lassen sich nicht berechnen. Berechnende Worte nennt man Klischees und gerade diese gilt es zu vermeiden.
Ich möchte daher eine Sprache entwickeln, kein Flügelprofil. Eine Sprache, die das Wesen des Segelfliegens besser in Worte kleidet. Im Kern geht es darum, innere Bewusstseinszustände zu rekonstruieren, die während des Fliegens auftreten und sie mit den äußeren Ereignisse in Korrespondenz zu bringen. Ich gehe also genau den umgekehrten Weg: Statt zuerst und oft auch einzig und allein die äußerlich erkennbaren (oberflächlichen) Daten eines Fluges aufzulisten (Strecke, Distanz, Dauer, Höhe, Geschwindigkeit) und diese dann mit spärlichen Worten (wenn überhaupt) zu kommentieren, ist es mir ein Anliegen, die emotionalen Zustände, die das Fliegen verursacht so genau wie möglich zu beschreiben. Freude, Zuversicht, Ängste, Hoffnungen, Rausch und vieles mehr. Zustände, die das Fliegen eigentlich ausmachen.
Das Gehirn eines Piloten wird bei einem Flug vielfältigen Eindrücken und Impulsen ausgesetzt, für die es keine batteriebetriebene Speichertechnologie, keinen Logger, gibt. Das Gehirn selbst ist gleichzeitig verarbeitende Instanz und Speicher dieser Eindrücke. Deswegen nenne ich meine Berichte vom Segelfliegen „Biologger“ – das soll die Ambivalenz zwischen erlebender und erlebnisspeichernder Instanz deutlich machen. Mein Biologger funktioniert anders als ein Logger, der GPS-Daten speichert. Mein Biologger funktionierte anders als der Logger der Punktesammelflieger. Er ist weder objektiv noch fälschungssicher. Aber ich habe keine andere Möglichkeit, wenn ich mich dem Wesen des Fliegens nähern möchte. Ich benötige geradezu eine geballte Ladung Subjektivität um dem Erlebten Sinn zu geben, über die reinen oberflächlichen Fakten hinaus.