27. Februar 2010

Paradigmenwechsel OLC

Anfangs hielt ich den OLC für eine tolle Sache. Er brachte Schwung in die Vereine, brach verkrustete Strukturen auf, animierte auch in der Breite zum Streckenfliegen. Psychologisch gesehen befriedigte er die Lust am Vergleich mit anderen. Sicher sind seit Einführung des OLC weltweit Millionen Kilometer mehr motorlos zurückgelegt worden (was immer wieder betont wird), als dies ohne OLC passiert wäre. Auch ich wurde erst durch die Kombination aus OLC und den neuen, modernen GPS-getriebenen Navigationsinstrumenten unter Aufsicht erfahrener Fluglehrer zu einem echten Streckenflieger.

Zuvor hielt ich mich meist im Umkreis des heimatlichen Segelfluggeländes auf oder wurde mir schlicht die Möglichkeit verwehrt, mit einem einigermaßen leistungsfähigen Flieger auf Strecke zu gehen. Das soll ja nicht ungewöhnlich sein, in vielen deutschen Vereinen, die sich durch Besitzstandswahrungslogik auszeichnen. Aber ich erlebte dann doch noch den ersten Paradigmenwechsel in meiner Fliegerbiografie – die Einführung des OLC. Anfangs war ich geradezu berauscht von den technischen Möglichkeiten, einen Flug komplett aufzuzeichnen. Der wichtigste Moment des Tages war dann auf einmal das Auslesen der Daten aus dem Logger, einer Art fälschungsicherem Speicher, der im Flugzeug eingebaut ist (ich erkläre das nur, falls auch Nicht-Flieger diesen Text lesen). Mit diesen Daten konnte man sich dann mit Hilfe einer speziellen Software den Flugweg oder das Höhenprofil des Fluges auf dem Laptop anzeigen lassen, dazu allerlei statistische Werte, wie z.B. der Anteil der Rechts- und der Linkskreise, um Rückschlüsse auf den eigenen Flugstil daraus zu ziehen.

Jeder Flug war damit transparent. Und fast jeder Flug wurde dokumentiert. Und damit wuchs das weltweite Archiv der Flüge in einer schier unendlichen Addition der wöchentlich erbrachten Streckenflugleistungen. Niemand aber dachte – zumindest nicht vernehmbar laut – darüber nach, das damit auch eine Veränderungen einhergehen würde. Die unter den Fliegern vorherrschende Sprachlosigkeit wuchs sich immer weiter aus. Man brauchte nun ja nichts anderes mehr zu tun, als die OLC-Daten einzugeben und zu vergleichen.

19. Februar 2010

Die Sprachlosigkeit der Flieger

Meine Ausgangsfrage sind denkbar einfach: Was hat sich in unserer Gesellschaft derart verändert, dass es möglich ist, von Langeweile in Bezug auf das Segelfliegen zu sprechen? Was verbirgt sich hinter diesem Phänomen? Ist damit wirklich Langeweile gemeint oder eine andere Form von Sättigung? Letztlich geht es mir darum, die Welt des Segelfliegens neu zu beschreiben. Mythen, Geschichtsbücher des Fliegens, Dokumentationen sind hierbei meine Hintergrundfolie, doch ich werde eine neue, kritische, eine zeitgemäße Einordnung vornehmen. Etwas hat sich verändert – so könnte man in wenige Worten meine Grundthese zusammenfassen und dieses „Etwas“ möchte ich näher untersuchen und versuchen zu erklären, was man daraus über die Gesellschaft, in der sich eine derartige Veränderung vollzieht, lernen kann.

In vielen Interviews und Gesprächen mit Fliegern vor und nach dem Flug oder an Tagen mit schlechtem Wetter ist mir immer wieder die allgemeine Sprachlosigkeit der Segelflieger ausgefallen. Kaum einer, der seine Erlebnisse (aus denen das Fliegen besteht) in adäquate Worte fassen könnte. Es gab überhaupt in der gesamten Geschichte der Fliegerei nur sehr wenige, die dem Fliegen auch eine sprachliche Qualität abgewinnen konnten. Den meisten fehlen einfach die Worte. Das ist aus meiner Sicht doppelt dramatisch. Erstens, weil viele ohne jeden Zweifel überdurchschnittlich schöne Erlebnisse beim Flug ohne Motor haben. Dramatisch daran, ist, dass diese Eindrücke durch die allgemeine Sprachlosigkeit für immer verloren gehen. Für den Flieger, der diese Erlebnisse hatte und auch für alle anderen, Freunde, Bekannte, Angehörige, die diese Erlebnisse vielleicht über den Umweg der Versprachlichung teilen könnten. Zweitens aber besteht das Drama darin, dass die Kommunikation über das Wesen des Fliegens immer weiter verflacht, die Sprachlosigkeit von Fliegergeneration zu Fliegergeneration weitergeben wird und sich neue stilbildende Ausdrucksformen der Erlebnissicherung herausbilden, die sich dann in der Folge ihrer Verbreitung und Akzeptanz normativ, d.h. mehr oder weniger verbindlich auswirken. In der Folge ist es den meisten Fliegern dann gar nicht mehr anders möglich, das im Flug erlebte anders auszudrücken, als auf diese oberflächliche Weise. Aber was heißt in diesem Zusammenhang oberflächlich?

Die Durchdringung der Erlebniswelt des Segelfliegens kann man seit vielen Jahren an der OLC-Bewegung erkennen. Bei diesem dezentralen Wettbewerb laden allabendlich Streckenflieger die Geokoordinaten auf eine Internetplattform, die ihren eigenen Flug dokumentieren. Anhand der Datenbank lassen sich dann regionenübergreifend Flüge nach den Kriterien Distanz und Durchschnittsgeschwindigkeit vergleichen. Schon in dem Ziel des OLC steckt also das Moment der Oberflächlichkeit. Die Bewegungen auf der Oberfläche (denn das Höher dient ja nur dem Fortkommen und ist insofern für den späteren Vergleich nur mittelbar, nicht aber unmittelbar von Interesse, schließlich zählt ja die Distanz) werden als Datenperlenkette erfasst und gespeichert. So sehr ich für das Speicher aller möglichen Daten bin (eines meiner Forschungsgebiete ist Lifelogging) sosehr zweifle ich an der Richtigkeit dieser Oberflächlichkeit. Aber noch nie zweifelte ich an der Kraft der Sprache. Einer meiner brasilianischen Lieblingsschriftsteller (João Guimarães Rosa) sagte einmal: „Es gibt in dieser Welt keine Fakten sondern nur Geschichten“. Bis heute prägt mich dieses Zitat. Wer keine Sprache hat, braucht Fakten, so kann man den OLC und die damit verbundene oberflächliche Kultur verstehen. Mich interessieren die Geschichten, nicht die Fakten.

10. Februar 2010

Langeweile oder Spektakel?

Aber um was geht es eigentlich? In letzter Zeit treffe ich immer öfter Piloten, die mir berichten, dass ihnen beim Segelfliegen langweilig ist. Piloten, die zwei, drei Flugzeuge besitzen, auf mehreren Kontinenten fliegen, immer können sie mit dem Wetter reisen, jeder beneidet sie. Und sie? Sie langweilen sich insgeheim!

Wie kann das nur sein, frage ich mich? War nicht etwa Fliegen einer der großen Menschheitsträume, aufgeladen mit Sehnsucht wie kein anderer? Was daraus geworden ist, ist eine oberflächliche Nachahmungsmaschinerie, in der Autonomie und Sinnhaftigkeit Mangelware sind. Das Segelfliegen wurde von einem Sehnsucht zum Spektakel – so wie es schon Guy Debord vorausgesagt hat (freilich nicht für das Segelfliegen, und ich weiß, wer erinnert sich schon gerne an einen Schriftsteller, der sich umbringt). Aber nehmen wir doch diesen wunderschönen Satz (Soziologen zumindest können sich daran ergötzen) und denken ein wenig darüber nach: „Das Spektakel ist die Ideologie schlechthin, weil es das Wesen jedes ideologischen Systems in seiner Fülle darstellt und zum Ausdruck bringt: Die Verarmung, die Unterjochung und die Negation des wirklichen Lebens.“ (aus: Die Gesellschaft des Spektakels). Wir brauchen also das Spekakel oder wir langweilen uns? Oder gibt es eine dritten Weg? Wir werden es sehen.

Ich selbst fliege seit fast 25 Jahren und mir ist noch nie langweilig geworden. Oder doch? Wenn ich ganz ehrlich bin? Wenn ich so ehrlich bin, dass ich mir eingestehe, dass ich an manchen Tagen einfach nur gemacht habe, was alle anderen auch machen? Die gleichen Strecken fliegen? Einfach dabei sein wollen. Aerodynamisch. Wie alle eben. Schlank im Wind. Und dennoch dumm?

Mittlerweile bin ich jedoch nicht nur leidenschaftlicher Segelflieger sondern auch leidenschaftlicher Soziologe, d.h. für mich ist es selbstverständlich, ja sogar notwendig, distanziert und kritisch auf die Dinge zu blicken, die unseren Alltag und unser Leben bestimmen. Dinge, die unser Zusammenleben regeln, Dinge, aus denen wir die Sinnhaftigkeit unserer Existenz ziehen. Fliegen ist für viele Menschen eine derartige Angelegenheit. Das nehme ich ganz sicher ernst, auch wenn ich viele derer, die Fliegen als den Mittelpunkt der Welt betrachten nicht (mehr) ernst nehmen kann. Mir ist das zu viel Ideologie und zu viel Spektakel – wobei das nach Guy Debord ja ein und dasselbe ist. Seit langer Zeit bohrt mich immer wieder eine Frage, abends, wenn ich nach einem Flug im Bett liege und noch einmal alles, was ich gesehen und erlebt habe, an mir vorbeirauschen lasse: Was passiert mit dem gerade Erlebten. Werde ich das Gefühl, dass mich gerade durchflutet, irgendwann einmal wieder abrufen können? Was nutzen mir die ganzen Erfolge, wenn ich einmal alt bin und das alles nur Erinnerung ist? (Vielleicht muss ich dazu sagen, dass mein Spezialgebiet als Soziologe die Theorie der Erinnerung ist, darüber habe ich promoviert, klar, dass ich früher oder später auch das Fliegen einmal durch diese Brille sehe, oder?). Reicht es aus, die erlebten Flüge in ein paar Zahlen zu transformieren, die meine Raum-Zeit-Figurationen als dreidimensionales Modell abbilden? Habe ich den Flug überhaupt erlebt? Lebe ich überhaupt oder lebe ich nur nach? Bin ich ein Original oder eine Kopie? Die Fragen, ausgelöst durch einen guten Flug, werden immer existentieller. Aber was ist überhaupt ein guter Flug? Einer, der mit viele Punkte einbringt oder einer, der mir nachhaltige Erinnerungen einbringt? In beide Formen kann ich ein Erlebnis und auch meine Sehnsucht danach bringen – es sind zwei verschiedene Welten. Die eine Welt, ist die Welt der Logger, des OLC, des Spektakels und der Ideologie. Die andere Welt, ist die Welt der Ästhetik, des Gefühls, der inneren Bilder, die Welt des Biologgers.