10. Februar 2010

Langeweile oder Spektakel?

Aber um was geht es eigentlich? In letzter Zeit treffe ich immer öfter Piloten, die mir berichten, dass ihnen beim Segelfliegen langweilig ist. Piloten, die zwei, drei Flugzeuge besitzen, auf mehreren Kontinenten fliegen, immer können sie mit dem Wetter reisen, jeder beneidet sie. Und sie? Sie langweilen sich insgeheim!

Wie kann das nur sein, frage ich mich? War nicht etwa Fliegen einer der großen Menschheitsträume, aufgeladen mit Sehnsucht wie kein anderer? Was daraus geworden ist, ist eine oberflächliche Nachahmungsmaschinerie, in der Autonomie und Sinnhaftigkeit Mangelware sind. Das Segelfliegen wurde von einem Sehnsucht zum Spektakel – so wie es schon Guy Debord vorausgesagt hat (freilich nicht für das Segelfliegen, und ich weiß, wer erinnert sich schon gerne an einen Schriftsteller, der sich umbringt). Aber nehmen wir doch diesen wunderschönen Satz (Soziologen zumindest können sich daran ergötzen) und denken ein wenig darüber nach: „Das Spektakel ist die Ideologie schlechthin, weil es das Wesen jedes ideologischen Systems in seiner Fülle darstellt und zum Ausdruck bringt: Die Verarmung, die Unterjochung und die Negation des wirklichen Lebens.“ (aus: Die Gesellschaft des Spektakels). Wir brauchen also das Spekakel oder wir langweilen uns? Oder gibt es eine dritten Weg? Wir werden es sehen.

Ich selbst fliege seit fast 25 Jahren und mir ist noch nie langweilig geworden. Oder doch? Wenn ich ganz ehrlich bin? Wenn ich so ehrlich bin, dass ich mir eingestehe, dass ich an manchen Tagen einfach nur gemacht habe, was alle anderen auch machen? Die gleichen Strecken fliegen? Einfach dabei sein wollen. Aerodynamisch. Wie alle eben. Schlank im Wind. Und dennoch dumm?

Mittlerweile bin ich jedoch nicht nur leidenschaftlicher Segelflieger sondern auch leidenschaftlicher Soziologe, d.h. für mich ist es selbstverständlich, ja sogar notwendig, distanziert und kritisch auf die Dinge zu blicken, die unseren Alltag und unser Leben bestimmen. Dinge, die unser Zusammenleben regeln, Dinge, aus denen wir die Sinnhaftigkeit unserer Existenz ziehen. Fliegen ist für viele Menschen eine derartige Angelegenheit. Das nehme ich ganz sicher ernst, auch wenn ich viele derer, die Fliegen als den Mittelpunkt der Welt betrachten nicht (mehr) ernst nehmen kann. Mir ist das zu viel Ideologie und zu viel Spektakel – wobei das nach Guy Debord ja ein und dasselbe ist. Seit langer Zeit bohrt mich immer wieder eine Frage, abends, wenn ich nach einem Flug im Bett liege und noch einmal alles, was ich gesehen und erlebt habe, an mir vorbeirauschen lasse: Was passiert mit dem gerade Erlebten. Werde ich das Gefühl, dass mich gerade durchflutet, irgendwann einmal wieder abrufen können? Was nutzen mir die ganzen Erfolge, wenn ich einmal alt bin und das alles nur Erinnerung ist? (Vielleicht muss ich dazu sagen, dass mein Spezialgebiet als Soziologe die Theorie der Erinnerung ist, darüber habe ich promoviert, klar, dass ich früher oder später auch das Fliegen einmal durch diese Brille sehe, oder?). Reicht es aus, die erlebten Flüge in ein paar Zahlen zu transformieren, die meine Raum-Zeit-Figurationen als dreidimensionales Modell abbilden? Habe ich den Flug überhaupt erlebt? Lebe ich überhaupt oder lebe ich nur nach? Bin ich ein Original oder eine Kopie? Die Fragen, ausgelöst durch einen guten Flug, werden immer existentieller. Aber was ist überhaupt ein guter Flug? Einer, der mit viele Punkte einbringt oder einer, der mir nachhaltige Erinnerungen einbringt? In beide Formen kann ich ein Erlebnis und auch meine Sehnsucht danach bringen – es sind zwei verschiedene Welten. Die eine Welt, ist die Welt der Logger, des OLC, des Spektakels und der Ideologie. Die andere Welt, ist die Welt der Ästhetik, des Gefühls, der inneren Bilder, die Welt des Biologgers.

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