26. August 2011

Abschied vom Sommer

Auf der Heimfahrt, der Hänger schnurrt schön hinter meinem Auto, schalte ich das Radio ein. „Machen Sie etwas aus diesem Tag, es ist ein schöner Sommertag, ab morgen wird es herbstlich“, rät der Moderator. Genau das habe ich getan. Es war ein schöner Tag am Flugplatz und in der Luft. Ich bin zufrieden, ich bin ruhig. Die vergangenen Wochen, die Enttäuschungen, schon relativieren sie sich. Die warme, schwüle Luft macht mich träge, lässt mich vergessen. Aber für ein paar Tage nehme ich diese Trägheit gerne an. Morgens schon in kurzer Hose auf dem Balkon frühstücken, barfuß über die kühlen Fließen laufen, meine neue Sonnenbrille als ständiger Begleiter – dieser Spätsommer verwöhnt uns alle.

Gestern entschied ich mich gegen das Fliegen. Als ich Zeit hatte, war es schon recht spät, 14 Uhr. Aber heute sollte der fliegerische Abschied vom Sommer auf dem Programm stehen. Nach dem Frühstück gebe ich noch ein Interview für einen Radiosender, dann räume ich meine Körbe mit den Batterien und den anderen Utensilien ins Auto. Nicht zu vergessen, die „Ein-Mann-Aufbauhilfe“ (welch' ein schönes deutsches Wort!).

Es sollte blau werden, soviel wusste ich aus dem Wetterbericht, der Rest sagte mir ein Blick nach Osten, in den Himmel. Macht nichts. Ich war nicht mehr darauf aus, große oder kleine Strecken zu fliegen, ich wollte einfach nur: fliegen! In aller Ruhe baute ich meinen kleinen Apis 2 auf - der übrigens nicht kleiner ist, als andere Segelflugzeuge, sondern nur so wirkt, warum, das weiß ich auch nicht. Und siehe: es ging sogar schneller als sonst, niemand schaute, niemand griff ein. Ich war zufrieden, zog den Flieger an den Start und fuhr dann das Auto an das andere Ende der Piste, da klar war, dass der Wind eher noch zunehmen würde - eine Gegenlandung war heute nicht drin. Es war sowieso noch recht früh, ich freute mich darauf, zu Fuß um den halben Flugplatz zu laufen. Immerhin war dann das Auto dort, wo ich es nach der Landung brauchen würde.

Nach dem Start suchte ich zunächst vergeblich nach der unsichtbaren Thermik, der Motor musste zum zweiten Mal angeworfen werden. Beim ersten Mal hatte ich ihn in zu niedriger Höhe ausgemacht. Die Blauthermik war so nicht gut zu fassen. Nun aber, beim zweiten Anlauf, klappte alles, ich fand einen Aufwind und los ging es. Mehr als ein wenig spielen wollte ich heute ja nicht. Also kreiste ich mal über dem See im Süden des Platzes, mal über der Stadt. Die Thermik war recht ordentlich und mein Apis 2 lag erstaunlich ruhig in der Luft. Heute hatte ich, wie auch schon beim letzten Flug, den Eindruck, dass ich mir den Flieger langsam angeeignet hatte. Fliegerisch – denn in meinem Besitz war er ja schon länger. Aber es sind zwei so ganz unterschiedliche Dinge, ob man eine Sache nur besitzt oder ob man auch von ihr ergriffen wird, sie kennen lernt, mit ihr vertraut wird.

Nun ist mir genau das doch noch, am Ende der Saison, ein paar Tage bevor ich nach Italien fliegen werde, gelungen: Ich vertraue dem Flieger, ich kann mich für seine Einfachheit und zugleich seine Besonderheit begeistern. Während des Fluges probiere ich ein wenig bewusster, wie man am Besten kreist, experimentiere mit unterschiedlichen Querneigungen und Ruderabstimmungen. Dabei erinnere ich mich, wie lange es gedauert hatte, bis ich mit meinem Astir oder mit meinem Mini Nimbus vertraut geworden war. Erst am Ende der ersten Saison, nach fast 100 Flugstunden, hatte ich das Gefühl, das wir beide, Flieger und ich, Freunde geworden waren. Man braucht Zeit, um sich auf einem „Muster“ einzufliegen - und diese Zeit hatte ich dieses Mal kaum.

Im Westen konnte ich das große Gewitter sehen, das angekündigt war und das den Herbst bringen sollte. Noch war es weit weg und ich konnte weiter spielerisch fliegen, mich am Glitzern des Sees erfreuen, am Blick aus dem Cockpit, am Gefühl, in kurzer Hose bei diesen Temperaturen zu fliegen, an den Schattierungen der Felder, von denen einige schon umgepflügt waren. Sehnsucht kam in mir auf, nach dem Frühling und den gelben Rapsfeldern, die ich bei den ersten Flügen aus der Luft bewundern konnte und die ich so sehr liebte. Die Erde wirkte nun bräunlicher, in der Tat, der Herbst war im Anmarsch. Erst als die Luft böiger wurde, beschloss ich zu landen.

Eigentlich wollte ich über dem See eine Kurve in Richtung Flugplatz machen, doch genau dann, als ich mich entschlossen hatte, zu landen, erwischte ich den besten Aufwind des Tages. Das Variometer piepste hell und gleichmäßig. In diesem Moment beschloss ich, dass es dieser Ton sein sollte, mit dem ich die Saison beschließen würde. Ich wollte nicht einfach nur landen, ich wollte mir diesen Ton fest einprägen, um mich in den nächsten Wochen und den ganzen langen Winter über daran zu erinnern. Dieser Ton sollte der Lockruf sein, der mir half, mich auf das Kommende zu freuen.

Nun sitze ich auf meinem Balkon, das Gewitter hat uns erreicht, die Böen beuteln die Bäume vor dem Haus, es fängt an zu regnen. Noch immer habe ich den gleichmäßigen Ton des Variometers, das Konzert des Steigens, im Ohr. Noch immer bin ich beseelt von diesem zwar kurzen, dafür aber umso wichtigeren Flug. Mir hätte etwas gefehlt, wenn ich ihn nicht gemacht hätte. So fühle ich mich ein wenig vollständiger - als Flieger, vor allem aber als Mensch. Nun kann ich die Dinge so sein lassen, wie sie sind. Und mich einfach dankbar freuen.

20. August 2011

Pizza Vittoria

Was passiert, wenn man einmal ungestört von Sonntagsfliegern während der Woche fliegen möchte? Wenn man ganz viel Pech hat, so wie ich gestern, trifft man auf ganze Horden von testesteron-gesteuerten Wettbewerbsfliegern auf der Suche nach dem Siegeserlebnis. Aber nicht jedes Mal wird man über den Haufen geflogen. Es gibt auch andere Tage, so wie diesen.

Abends sehnten wir uns nach einem stilvollen Ort und einer guten Pizza. Diesen Ort fanden wir in den Innenstadt von Donaueschingen - ein Tipp der Luftaufsicht. Den Hänger mit dem kleinen Apis 2 nahmen wir einfach mit, da zwei Autos gerade dort parkten, wo sich (eigentlich) mein Abstellplatz befand. Auf Bitte-Bitte-sagen hatte ich keine Lust.

Ich bestellte nicht die übliche Pizza Tonno und merkte erst später, beim genussvollen Essen, wie symbolträchtig der Name meiner Pizza war: Pizza Vittoria! Sieg! Es war - zumindest für heute - der Sieg über alle Widrigkeiten, die mich in den letzten drei Monaten begleiteten. Ich hatte den Flieger in kürzester Zeit problemlos alleine aufgebaut. Trotz einiger Maulwurfshügel ging das mit der Ein-Mann-Aufbauhilfe besser, als mit drei Leuten, die alles besser wissen, durcheinander reden und an den Flügelenden zerren.

Es war ein guter Start in einen sich entwickelnden Wolkenhimmel hinein und dann ein wunderschöner Flug. Eine tolle (Gegen-)Landung bis kurz vor das Auto und dann waren wir schon wieder vor dem Hänger. Ich fuhr den Motor aus und die Spannung stieg. Aber der neu montierte Auspuff schien eine Veränderung herbeigerufen zu haben. Alle Federn noch dran, alle Haltestangen ebenfalls. Es war einfach wunderbar, ein Sieg! Nichts war kaputt. Es war, am 20. August, also so gut wie am Ende der Saison, der erste richtig tolle Flug, ein Flug, der segelfliegerisch anspruchsvoll war, ein Streckenflug eben. Und gleichzeitig ein Flug, der keinen schalen Nachgeschmack hinterließ, wie bei so vielen Flügen vorher. Ich konnte meinen Flieger einfach wieder abbauen (selbstverständlich auch alleine) und dann nach Hause fahren. Mit einem Umweg über die Pizzeria.

Auch wenn dieses Jahr nicht alles optimal gelaufen ist, freue ich mich über dieses Geschenk. Ein eigener Flieger ist immer etwas Besonderes. Auch eine Art Sieg.

14. August 2011

Frühe Zugvögel

Als ich zur Luftaufsicht gehe, um meine Landegebühren zu zahlen, verstricke ich mich in ein Gespräch über Zugvögel und Organspenden - zwei Themen, nicht naturgemäß zusammenpassen. Der Controller erweist sich gleichermaßen als gesprächig wie auch als fachkundiger Ornithologe. Wir schwätzen über das schlechte Sommer- und Segelflugwetter und er bemerkt, das sich die Zugvögel, vor allem die Störche, dieses Jahr in der Gegend auch schon viel früher als sonst gesammelt hätten. Wir plaudern über Störche, die sich in letzter Zeit wieder vermehrt haben. Zum einen - so der Controller - liege dies wohl an einigen Schutzmaßnahmen. Zum anderen daran, dass Störche sich nicht dazu eignen, in die Pfanne gehauen zu werden, da sie komisch schmecken. Schlechter Geschmack schützt auch in diesem Fall. Er berichtet davon, wie sich in den letzten Jahren seiner Dienstzeit die Vogelarten rund um den Flugplatz verändert haben - und davon, welche Folgen dies für das natürliche Gleichgewicht hat. Als durch das offene Fenster deutlich hörbar ein Motorradfahrer die Schnellstraße hinter dem Flugplatz entlangrast, wechselt er zum Thema Organspende.

Er berichtet davon, wie im Durchschnitt drei bis viermal pro Jahr in mitternächtlichen Aktionen Maschinen in Donaueschingen landen, die Organe verunglückter Personen abholen. Die Organe wurden zwischenzeitlich in einem nahegelegenen Krankenhaus herausoperiert. In meiner Phantasie stelle ich mir diese unheimlichen Schwebebilder zwischen Leben und Tod vor. Das hat so gar nichts mit der Unbekümmertheit zu tun, mit der wir meist unserem Freizeitvergnügen nachgehen. Dennoch ist es aber, wenn man nur einen Schritt weiter denkt, geradezu erschreckend nah dran.

Nachdem ich gestern den Tag habe Tag sein lassen und statt zu fliegen nachmittags in die Sauna gegangen bin, wollte ich es heute doch wissen. Wir schafften es, mal ein wenig früher aufzustehen und fuhren gemeinsam zum Flugplatz. Inzwischen sind wir ein richtig tolles Team geworden. Aus dem Tag, an dem wir es kaum geschafft haben, den Flieger zusammen zu bauen, habe ich gelernt. Dank Wasserwaage, gut gefetteten Bolzen und genauerem Blick (alles muss gut fluchten) gelingt es uns nun mühelos den Apis 2 aufzubauen. Am besten alleine.

Da ich beim letzten Flug mehrmals und dazu noch über längere Strecken den Motor gebraucht hatte, mussten wir noch Sprit holen. Schnell noch das Öl hineingemischt und getankt - wobei „tanken“ ein echter Euphemismus ist, so langsam läuft wegen der schlechten Tankentlüftung der Sprit in den Tank - und dann hängen wir den Flieger an die Zugstange und fahren zum Pistenende 18.

Dort checke ich wie immer alles. Doch ich bin ungeduldig, weil ich nicht weiß, wie das Wetter wird. Aus Westen sind Gewitter gemeldet, die Wolken, die schon jetzt am Himmel stehen sehen wirr aus, wie die Haare eines alten, zotteligen Mannes. Überhaupt gibt es nur ein oder zwei Wolken, von denen ich meine, dass es sich lohnt zu starten. Aber ich will es versuchen. Dank des Gegenwindes, der genau auf der Bahn steht, kann ich sehr schnell die Flügel gerade nehmen. Nach dem Abheben halte ich den Flieger noch in niedriger Höhe, nehme ein wenig Fahrt auf und steige dann mit der recht niedrigen Geschwindigkeit steil in den Himmel - so kommt es mir vor. Es ist so ganz anders, als das Hinaufkriechen im Kempten, bei den heißen Temperaturen, dem Rückenwind und der schwülen Luft.

Ich schwenke Richtung Schwarzwald, so soll es heute sein. Einige Wolken ziehen schon sehr gut, ich lasse mich steiler als sonst in die Thermik fallen, probiere den Flieger aus, der mir noch fremd ist, was sind schon die paar Starts, die ich bislang gemacht habe? Vor mir baut sich zu meiner großen Freude eine Wolkenstraße auf zeigt in Richtung Feldberg. Ich erinnere mich an meinen ersten Flug hier im Revier, auch wenn damals die Verhältnisse wesentlich besser waren. Dennoch freue ich mich. Sage ja zu diesem Flug, so laut ich kann. Ich will heute fliegen, egal welche Strecke, egal welche Höhe, einfach nur die Aussicht genießen, die Freude an der Sache.

Ich frage mich, ob dies das Richtige für mich ist, aber ich weiß auch, dass das dumme Gerede über Steigen, Strecken, Durchschnittsgeschwindigkeiten und Punkte nicht mehr meine Sache ist. Ach, wenn es denn wenigstens Gerede wäre! Aber es sind ja nur stumm ausgewertete Dateien. Ein Datum für ein Erlebnis, eine Datei für einen Flug, eine Dateienliste für ein Segelfliegerleben. Mehr ist es dann ja oft nicht. Lohnt sich das? Mir ist das zu wenig!

Zusammen mit einer LS 1f kann ich die Leistungen meines Apis 2 im direkten Vergleich testen. Wie erwartet schneide ich schlechter ab. Was soll es - das ist nicht mehr meine Welt. Überhaupt wird langsam der Wind stärker. Meine Navi zeigt mir, dass meine Fluggeschwindigkeit etwas völlig anderes ist, als meine Geschwindigkeit über Grund. In anderen Worten: Es gibt Gegenwind, der mich am Vorankommen hindert - dafür ist der kleine, schmucke Flieger nicht gerade gemacht. Mein Schatten am Boden wäre gerade noch so schnell wie ein Moped. Trotzdem freue ich mich über jeden kleinen Abschnitt, den ich vorankomme, über Orte, die ich kenne, vorhin gerade die Staumauer im Linacher Tal, nun bin ich trotz des Windes gleich beim Titisee. Eine breite, unergründlich dunkle Fläche spannt sich vor und über mir auf. Das ist nicht mehr das Gefühl, unter einer Wolke zu segeln, dass ist eher das Gefühl in einem Bergsee zu tauchen. Ich versuche nur im Geradeausflug zu steigen, weil ich zu faul zum Kreisen bin. Das andere Flugzeug ist längst weg, aber ich bin nur kurz traurig, weil ich mir denke, dass jeder das machen soll, wozu er am meisten Lust hat. Und ich möchte jetzt dieses Panorama genießen.

Was selten gelingt, passiert nun, ich steige seitwärts an eben der Wolke hoch, unter deren Kielschatten ich so lange schwebte, ich übersteige die Basis durch ein paar seitlich verströmende Wolkenfetzen hindurch. Dieser Moment macht mich unendlich enthusiastisch, denn er verbindet Leichtigkeit mit Freiheit. Genau darum sollte es ja beim Fliegen gehen.

Im Westen stehen nun die Gewitter. Klar und deutlich zeichnen sich die überquellen Ausbuchtungen der Wolken gegen den noch blauen Himmel ab. Die Stimmung am Himmel verändert sich mit beinahe jedem Kreis, den ich jetzt machen muss, um meine Höhe zu halten. Erst schwenke ich am Titisee nach Süden um dann wieder mehr nach Osten zu fliegen. Der Rückenwind schiebt mich fast ohne Höhenverlust meiner neuen Wolke entgegen.

Ich will heute nichts riskieren. Heute bin ich geduldig mit mir selbst. Nur ein wenig fliegen, keine großen Sachen, dafür reicht weder Material noch Zeit. Also mache ich mich auf den Weg nach Hause, so sagt man oft, aber was damit gemeint ist, ist nur der Flugplatz, von dem aus man gestartet ist. Ein Zuhause, das wäre etwas ganz anderes, sicher sind beides aber Orte, an die man gerne zurückkehrt, so wie ich jetzt. Es wird auch notweniger, denn im Norden und im Süden bilden sich schon Regenschauer. Ich beschließe, den Flug zu beenden. Unterwegs begegnet mir noch eine ganze Flotte an Segelflugzeugen, wahrscheinlich die Teilnehmer eines Wettbewerbs irgendwo. Wie lächerlich dies in meinen Augen wirkt, wie sie alle dort zusammen einem geodatierten Wendepunkt entgegen fliegen, einer macht, was der andere auch tut, sie unterscheiden sich kaum und am Ende wird es sicher schwierig sein, einen Gewinner feststellen zu müssen. Vielleicht einer, der um ein paar Punkte besser war, oder eher einer, der seine eigene Route geflogen ist? Warum müssen diese Personen sich überhaupt vergleichen? Ich halte es da mit Franz Kafka, der einmal sagte, dass es im Leben keinen Sinn macht, in einem Rennen der Erste sein zu wollen.

Am Ende habe ich fast Schwierigkeiten, runter zu kommen. Die Luft trägt mich, wo ich doch landen will. Ich muss mir bewusst Sinkgebiete suchen. Dort kreise ich dann. Anders noch als in den ersten Jahren meiner Fliegerei, in denen jede Sekunde eines Fluges so kostbar war, dass ich immer versuchte, so langsam wie möglich zu sinken (wobei einem bestimmte Flugzeuge, die heute niemand mehr gerne fliegt, sehr nützlich sein können), möchte ich heute einfach landen. Der Flug ist vorbei.

Im Funk höre ich wie mir der Controller die Windrichtung und -stärke angibt. Es herrscht recht starker Seitenwind. Viel für meinen leichten Apis 2. Bei einem solchen Wind bin ich noch nie gelandet. Ich kurve in den Queranflug und ziehe die Bremsklappen, da ich noch zu hoch bin. Im Endanflug merke ich, wie mich der Wind versetzt, ich muss die Nase des Fliegers in den Wind richten, um nicht abgetrieben zu werden. Über der Piste schwebe ich lange, nun bin ich mir sicher, dass sie Landung gelingt. Vorhin wackelte alles so stark, dass mir Angst und Bange wurde. Erst als ich mir sicher bin, dass ich weit genug bin, setze ich den Flieger auf den Boden - ich kann ich erst im letzten Moment in Richtung der Piste ausrichten. Noch ein paar Meter rolle ich, dann komme ich mit Hilfe der Klappen und der Bremse genau am Abrollweg zu stehen. Schnell steige ich aus, drehe den Flieger um 90 Grad und ziehe ihn in den Taxiway - da sehe ich auch schon das rote Auto mit meiner Frau kommen, die mich abholt.

Mit diesem Flug bin ich sehr einverstanden, auch wenn es eher ein Spiel war. Aber die Ernsthaftigkeit lauert in meinem Leben an so vielen Stellen, dass mir dieses Spiel immer lieber wird. Man sieht mehr, fühlt mehr, erlebt mehr. Man fliegt mehr.

Traurig werde ich erst, als ich von den frühen Zugvögeln höre. Schon immer haben mich die Zugvögel fasziniert. Es wird wohl kaum einen Menschen geben, der sich nicht von ihnen rühren lässt. Sie verkünden das Ende des Sommers. Frühe Zugvögel sind ein Zeichen dafür, dass selbst die elementaren Regeln, auf die wir uns immer als so glühende Anhänger des Status Quo verlassen, letztlich im Fluss sind. Ich fliege mit Ihnen, so lange geht. In Gedanken. Und ich erwarte sie wieder, so oft es noch geht.

10. August 2011

Endlich autonom

Endlich! Nach so vielen Wochen des Wartens auf gutes, d.h. fliegbares Wetter, stimmte heute alles: Ich musste nicht ins Büro, der Flieger stand funktionsbereit vor der Türe, das Wetter zeigte sich endlich freundlich. Wie immer vor einem Flugtag, der ein guter oder sogar ein großer sein kann, schlief ich in der Nacht zuvor schlecht. Der zunehmende Mond tat ein Übriges. Wie immer wachte ich viel zu früh auf, schlurfte noch im Schlafanzug in das Wohnzimmer, möglichst ohne meine Frau zu wecken, nur um aus dem Fenster zu sehen und den Himmel zu fragen, was er für diesen Tag versprach. Wie immer: eine Entscheidung des Lichts. Ein Versprechen des Himmels.

Das heutige Versprechen interessierte mich sehr. Ich machte mir einen Kaffee und ein kräftiges Frühstück mit Rühreiern, denn solche Tage werden meist lang. Ich brachte (nicht ganz ohne schlechtes Gewissen) meine Frau ins Büro, damit diese dort ihren Tag verbringen konnte und fuhr dann mit dem Flieger im Hänger nach Donaueschingen. Dort standen schon zwei „Leistungsflieger“ fix und fertig, sie starteten eine Stunde vor mir. Ich musste meinen Flieger erst zusammenbauen.

Einmal hatte ich dies schon alleine getan, beim zweiten Versuch schließlich scheiterte ich. Heute lief es gut für mich. Es war niemand da, der mir dumme Frage stellte, es wollte mir niemand ungefragt Tipps geben, aber auch niemand, der mir helfen konnte. Also war ich auf mich alleine gestellt. Gut so! Ich machte es so wie im Urlaub mit meiner Frau. Die Wasserwaage am Leitwerk machte sich auch heute bezahlt. Steht der Flieger waagerecht, läuft alles wie geschmiert.

Immer mit der Ruhe. Das Wetter ist gut, aber nicht sensationell. Mit dieser inneren Einstellung gelang es mir mühelos, den Flieger aufzubauen. Ich freute mich, heute diesen Tag auf dem Flugplatz bzw. in der Luft verbringen zu dürfen. Schon jetzt sehnte ich mich nach mehr von diesen Tagen. Ich hatte davon dieses Jahr definitiv viel zu wenige erhalten.

Als ich mit allem fertig war, mein Rucksack mit allen Utensilien verstaut war, das Navi angeschlossen, die Flügel abgeklebt, fehlte nur noch, den kleinen Apis 2 an den Start zu ziehen. Ein letztes kurzes Telefonat mit meiner Frau, dann schob ich den Flieger auf die große Piste von Donaueschingen, stieg ein, gurtete mich an, startete den Motor und war gleich in der Luft. Bis dahin hatte ich von niemandem Hilfe benötigt. Dieser nicht unwesentliche Aspekt sollte bei der Beurteilung des Gesamtkonzepts „Ultraleichtes Segelfliegen“ nicht ganz außer Acht gelassen werden.

Ich startete auf der Piste 36, also nach Norden und ich fand sogleich eine Wolke, die ich als ersten Zielpunkt anvisierte. Das geht doch schon gut! Der kleine Flieger scheint einfach steigen zu wollen, wenn man mal die Thermik gefunden hat. Was mir nicht immer auf Anhieb so gut gelingt, wie mit meinem Mini Nimbus, aber vielleicht ist das ja Übungs- und Gewöhnungssache.

Noch ist die Basis niedrig. Dennoch gibt es eine kleine Willkommensfeier mit der Alb. Ich habe diesen gewohnten Anblick richtig vermisst. Wenn man eine Gegend vermissen kann, dann diese. Dort bin ich (im Wesentlichen) in den letzten Jahren geflogen. Noch lange kenne ich dort nicht alles, aber es gibt ein Gefühl von Vertrautheit durch zahlreiche Wiedererkennungseffekte. Dort ein Flugplatz, dort eine Schlucht, das Donautal, mal hier, mal dort, ein Berg, ein Kloster, einfach irgendein Merkmal, dass mir, von den vielen Flügen, bekannt vorkommt. Es ist inzwischen, nach so vielen Jahren der privaten und beruflichen Wanderung ein zartes Gefühl von Heimat. Spricht man nicht auch manchmal von „fliegerischer Heimat“?

Trotzdem muss man ja nicht immer mit seiner Heimat einverstanden sein. Ich liebe den Anblick, aber mir fällt auch auf, dass er heute anders ist als sonst: ich bin sehr niedrig. Dies liegt daran, dass die Gleichung „Wolkenbasishöhe minus Geländehöhe ist gleich Flughöhe über Grund“ heute deutlich zu meinem Ungunsten ausfällt. Es soll einfach noch nicht richtig krachen. Ich schaffe es nicht, die Thermik zu zentrieren. Liegt es an meiner eigenen Unfähigkeit oder schlicht daran, dass die Thermik schlecht ist? Während ich versuche, diese Frage zu klären, sinke ich immer weiter. Die Physik verhält sich völlig indifferent meinen Sorgen gegenüber. Der Zeiger meines Höhenmessers und noch viel mehr der Blick nach unten zeigt mir nach der Formel „Kühe klein = hoch; Kühe groß = niedrig“, dass ich eine Entscheidung treffen muss: Noch eine Wolke testen oder den Motor starten?

Ich entscheide mich für den Motor und ärgere mich. Schon wieder ein Flug, bei dem ich den Motor brauche! Aber genau in diesem Moment blicke ich nach unten. Ein Unten, dass für mich Dank des Motors immer weniger unten liegt. Dort sehe ich einen weißen Segelflieger quer auf einem Feld: Außenlandung. Für diesen Piloten ist der Flugtag zu Ende. Für mich beginnt er gerade. Warum also ärgere ich mich? Was wird er gerade in diesem Augenblick denken, wenn er, nur wenige Meter über ihm, einen anderen Segelflieger sieht, einen, der auch seiner sein könnte, einen, der fast auch hätte außenlanden müssen und der dann dank des Motors rasch wieder an Höhe gewinnt? Wird er mir hinterherfluchen? Wie oft war ich schon in dieser Situation! Ich erinnere mich an einige Außenlandungen: Duo Diskus, Astir, Mini Nimbus. Und oft war es genau so, wie gerade. Nur mit umgekehrten Rollen: Ich saß neben meinem Flieger auf dem Acker und musste stundenlang auf meine Rückholerin warten (die sich schon mal ein Fußball-Länderspiel in aller Ruhe zu Ende ansah, bevor sie losfuhr!), während es über mir in der Luft brummte. Dann hatte jemand seinen Motor ausgefahren, um sich vor genau dieser Situation in Sicherheit zu bringen.

In diesem Moment „verfliegt“ mein Ärger (auch eine sehr schöne deutsche Redewendung). Ich musste nur für einen kurzen Moment die Perspektive wechseln, mich an so manche Situation erinnern, ich der ich fluchte oder gar heulte, weil es mir so ungerecht vorkam. Heute kann ich einfach weiterfliegen. Eine Wonne, Fortschritt.

Ich fliege langsam unter immer fetteren Wolken. Kaum denke ich noch an die Situation gerade, weil beim Fliegen immer etwas die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Nun ist es mein Navi, das piepst und mir anzeigt, dass ich schon recht nahe am Flugbeschränkungsgebiet Stuttgart fliege. Wohl oder übel muss ich mich nun darauf konzentrieren.

Der Schwarzwald ruft mich, heute ist dies die einzig sinnvolle Richtung. Aber der dumme Wind schiebt mich immer wieder in Richtung Stuttgart, so nahe war ich dem Flughafen noch nie. Ich kurble, seufze, sinke, steige wieder, fast könnte man sagen, ich kämpfe, doch dann geht es ganz leicht, die Wolken reißen mich geradezu an sich. Husch, husch, ein paar Wolken weiter, bin ich über Freudenstadt im Schwarzwald. Erinnerungen an meinen ersten Schwarzwaldflug mit dem Apis 2 werden wach. Es war dieser gigantische Tag, ein Tag mit unvergleichlichen Höhen, ein Tag, an dem ich einfach mühelos luftwandern konnte.

Leider sieht es heute ganz anders aus, das Wetter lässt sich nicht im Reisebüro buchen oder im Supermarkt abpacken. Es wird blau, ich muss meine Taktik ändern. Ich weiche über Winzeln dem Schwarzwald aus, der für mich immer höher wird. Einige Flieger kratzen an der Hangkante entlang und sehen aus wie Modellflieger. Zwei Fragen stellen sich immer dringender: Wie weit trägt es mich noch? Und: Habe ich heute Lust zu kämpfen? Nicht weit ist die Antwort auf die erste Frage. Und die zweite Frage stellt sich schon ein paar Minuten später nicht mehr, so eindeutig nicht segelfliegerisch verhält sich das Wetter.

Ich tue etwas, von dem ich in vergleichbaren Momenten immer geträumt habe: Ich starte den Motor und fliege nach Hause. So leicht schreibt sich dieser Satz, aber wer ihn liest kann sich gerne selbst prüfen, was damit alles verbunden ist. Mein Konzept geht nun auf. Es geht sogar noch mehr auf, als ich es mir hätte träumen können.

Eigentlich wollte ich „nur“ zum Flugplatz Donaueschingen zurückfliegen. Aber weiter im Süden scheint das Wetter fliegbar zu sein. Also starte ich kurzerhand den Motor und fliege in das neue Wetterfenster. Alles heute spiegelt mir die Richtigkeit meiner Entscheidung. Alles deutet darauf hin, wie wichtig diese Autonomie für den Genuss ist. Ich habe noch fast zwei Stunden Spaß am Steigen, fliege fast bis an den Bodensee, genieße die Aussicht und später dann, im Gleitbereich des Platzes, den Sonnenuntergang.

Nach der Ladung baue ich den Apis 2 mühelos allein ab. Von nun an, erde ich den Flieger immer alleine auf- und abrüsten. Es ist einfach die beste Methode, die am wenigsten kaputt macht. Auf der Fahrt nach Hause steigen die Bilder in mir auf und ich habe es schwer mich wieder an das Restleben anzukoppeln. Leider gibt es dazu keine Aufbauhilfe.

5. August 2011

Set Pilot

Wenn schon das Wetter nicht das hergibt, was der Segelflugwetterbericht versprochen oder was ich mir erhofft hatte, dann kann ich ja den Tag wenigstens anders sinnvoll nutzen. Zusammen mit sieben Studierenden der Hochschule Furtwangen University arbeite ich am zweiten Teil eines Dokumantarfilmes über den Apis Jet - einen Apis 2 mit innenliegender Turbine. Eigentlich sollte der erste Teil des Films schon den Erstflug zeigen, dann wurde dieser aber verschoben. Wir behalfen uns damit, dass wir einige Flugszenen mit meinem Mini Nimbus „4H“ drehten, als Intro für den eigentlichen Film.

Um diese Flugaufnahmen zu erstellen, nutzen wir neben den Bodenkameras, eine kleine mobile Kamera mit HD-Qualität, die GoPro Hero. Diese wurde an verschiedenen Stellen des Segelflugzeuges angebracht: außen an der Nase, innen im Cockpit, auf dem Flügel, hinten auf dem Höhenleitwerk mit Blick nach vorne. Die Qualität hat überzeugt und wir werden die Kamera auch im zweiten Teil des Films nutzen.

Das Wetter in Kempten ist schwül, es sind keine guten Segelflugbedingungen zu erwarten. Ich hatte die Tage zuvor schon mit der Kamera-Position im Cockpit experimentiert. Das war nicht so einfach, denn um eine gute Perspektive zu erzielen, musste ich die Kamera auf dem Flarm montieren. Die Kamera verdeckte dann die Flarmantenne und - viel schlimmer - den Faden. Dies viel mir aber erst in der Luft auf, irgendetwas fehlte mir beim Kreisen.

Heute wollte ich erstmals die Flügelposition der Kamera ausprobieren. Von den Aufnahmen mit der „4H“ wusste ich, dass es nicht notwendig war, die Kamera außen am Randbogen anzubringen. Durch den Weitwinkel-effekt (ca. 170 Grad) wäre dann zu viel Flügel und zu wenig Segelflugzeug auf den Bildern. Ich brachte die GoPro daher in Flügelmittel, knapp hinter den Klappen an. Dazu setze ich mein Saugstativ auf die Stelle auf, unter der ich ungefähr den Holm vermutete, drückte diese fest an und sicherte es mit ausreichend Klebeband.

Da ich keine Fernbedienung hatte, musste ich die Kamera kurz vor dem Start selbst aktivieren. Es ist ganz lustig, denn man sieht sich dann später selbst beim Einsteigen, beim Check etc. zusehen kann. Die Bilder vom Startlauf, vom Abheben und vom Steigflug sind beeindruckend. Mit der Speicherkapazität lassen sich gut 30 Minuten aufnehmen. Leider zeigte sich ein Problem: Nach ca. fünf Minuten begann das Objektiv zu beschlagen und zwar erstaunlicherweise nur an einigen Stellen. Damit waren die Aufnahmen unbrauchbar, weil über dem Bild ein milchiger Schleier lag (das Problem hatte mit dem schwülen Wetter zu tun, später funktionierte die Kamera wieder einwandfrei).

Ich ärgerte mich zunächst, war dann aber doch froh über dieses Ergebnis. Hätte ich es nicht im Urlaub ausprobiert, wäre das Problem möglicherweise ohne Vorwarnung bei den „offiziellen“ Aufnahmen zum Erstflug aufgetreten. Also lieber jetzt und dann aus diesem Problem lernen. Als Erinnerung reichen die Aufnahmen allemal. Vor allem als Erinnerung an das flaue Wetter über Kempten.