Auf der Heimfahrt, der Hänger schnurrt schön hinter meinem Auto, schalte ich das Radio ein. „Machen Sie etwas aus diesem Tag, es ist ein schöner Sommertag, ab morgen wird es herbstlich“, rät der Moderator. Genau das habe ich getan. Es war ein schöner Tag am Flugplatz und in der Luft. Ich bin zufrieden, ich bin ruhig. Die vergangenen Wochen, die Enttäuschungen, schon relativieren sie sich. Die warme, schwüle Luft macht mich träge, lässt mich vergessen. Aber für ein paar Tage nehme ich diese Trägheit gerne an. Morgens schon in kurzer Hose auf dem Balkon frühstücken, barfuß über die kühlen Fließen laufen, meine neue Sonnenbrille als ständiger Begleiter – dieser Spätsommer verwöhnt uns alle.
Gestern entschied ich mich gegen das Fliegen. Als ich Zeit hatte, war es schon recht spät, 14 Uhr. Aber heute sollte der fliegerische Abschied vom Sommer auf dem Programm stehen. Nach dem Frühstück gebe ich noch ein Interview für einen Radiosender, dann räume ich meine Körbe mit den Batterien und den anderen Utensilien ins Auto. Nicht zu vergessen, die „Ein-Mann-Aufbauhilfe“ (welch' ein schönes deutsches Wort!).
Es sollte blau werden, soviel wusste ich aus dem Wetterbericht, der Rest sagte mir ein Blick nach Osten, in den Himmel. Macht nichts. Ich war nicht mehr darauf aus, große oder kleine Strecken zu fliegen, ich wollte einfach nur: fliegen! In aller Ruhe baute ich meinen kleinen Apis 2 auf - der übrigens nicht kleiner ist, als andere Segelflugzeuge, sondern nur so wirkt, warum, das weiß ich auch nicht. Und siehe: es ging sogar schneller als sonst, niemand schaute, niemand griff ein. Ich war zufrieden, zog den Flieger an den Start und fuhr dann das Auto an das andere Ende der Piste, da klar war, dass der Wind eher noch zunehmen würde - eine Gegenlandung war heute nicht drin. Es war sowieso noch recht früh, ich freute mich darauf, zu Fuß um den halben Flugplatz zu laufen. Immerhin war dann das Auto dort, wo ich es nach der Landung brauchen würde.
Nach dem Start suchte ich zunächst vergeblich nach der unsichtbaren Thermik, der Motor musste zum zweiten Mal angeworfen werden. Beim ersten Mal hatte ich ihn in zu niedriger Höhe ausgemacht. Die Blauthermik war so nicht gut zu fassen. Nun aber, beim zweiten Anlauf, klappte alles, ich fand einen Aufwind und los ging es. Mehr als ein wenig spielen wollte ich heute ja nicht. Also kreiste ich mal über dem See im Süden des Platzes, mal über der Stadt. Die Thermik war recht ordentlich und mein Apis 2 lag erstaunlich ruhig in der Luft. Heute hatte ich, wie auch schon beim letzten Flug, den Eindruck, dass ich mir den Flieger langsam angeeignet hatte. Fliegerisch – denn in meinem Besitz war er ja schon länger. Aber es sind zwei so ganz unterschiedliche Dinge, ob man eine Sache nur besitzt oder ob man auch von ihr ergriffen wird, sie kennen lernt, mit ihr vertraut wird.
Nun ist mir genau das doch noch, am Ende der Saison, ein paar Tage bevor ich nach Italien fliegen werde, gelungen: Ich vertraue dem Flieger, ich kann mich für seine Einfachheit und zugleich seine Besonderheit begeistern. Während des Fluges probiere ich ein wenig bewusster, wie man am Besten kreist, experimentiere mit unterschiedlichen Querneigungen und Ruderabstimmungen. Dabei erinnere ich mich, wie lange es gedauert hatte, bis ich mit meinem Astir oder mit meinem Mini Nimbus vertraut geworden war. Erst am Ende der ersten Saison, nach fast 100 Flugstunden, hatte ich das Gefühl, das wir beide, Flieger und ich, Freunde geworden waren. Man braucht Zeit, um sich auf einem „Muster“ einzufliegen - und diese Zeit hatte ich dieses Mal kaum.
Im Westen konnte ich das große Gewitter sehen, das angekündigt war und das den Herbst bringen sollte. Noch war es weit weg und ich konnte weiter spielerisch fliegen, mich am Glitzern des Sees erfreuen, am Blick aus dem Cockpit, am Gefühl, in kurzer Hose bei diesen Temperaturen zu fliegen, an den Schattierungen der Felder, von denen einige schon umgepflügt waren. Sehnsucht kam in mir auf, nach dem Frühling und den gelben Rapsfeldern, die ich bei den ersten Flügen aus der Luft bewundern konnte und die ich so sehr liebte. Die Erde wirkte nun bräunlicher, in der Tat, der Herbst war im Anmarsch. Erst als die Luft böiger wurde, beschloss ich zu landen.
Eigentlich wollte ich über dem See eine Kurve in Richtung Flugplatz machen, doch genau dann, als ich mich entschlossen hatte, zu landen, erwischte ich den besten Aufwind des Tages. Das Variometer piepste hell und gleichmäßig. In diesem Moment beschloss ich, dass es dieser Ton sein sollte, mit dem ich die Saison beschließen würde. Ich wollte nicht einfach nur landen, ich wollte mir diesen Ton fest einprägen, um mich in den nächsten Wochen und den ganzen langen Winter über daran zu erinnern. Dieser Ton sollte der Lockruf sein, der mir half, mich auf das Kommende zu freuen.
Nun sitze ich auf meinem Balkon, das Gewitter hat uns erreicht, die Böen beuteln die Bäume vor dem Haus, es fängt an zu regnen. Noch immer habe ich den gleichmäßigen Ton des Variometers, das Konzert des Steigens, im Ohr. Noch immer bin ich beseelt von diesem zwar kurzen, dafür aber umso wichtigeren Flug. Mir hätte etwas gefehlt, wenn ich ihn nicht gemacht hätte. So fühle ich mich ein wenig vollständiger - als Flieger, vor allem aber als Mensch. Nun kann ich die Dinge so sein lassen, wie sie sind. Und mich einfach dankbar freuen.