14. August 2011

Frühe Zugvögel

Als ich zur Luftaufsicht gehe, um meine Landegebühren zu zahlen, verstricke ich mich in ein Gespräch über Zugvögel und Organspenden - zwei Themen, nicht naturgemäß zusammenpassen. Der Controller erweist sich gleichermaßen als gesprächig wie auch als fachkundiger Ornithologe. Wir schwätzen über das schlechte Sommer- und Segelflugwetter und er bemerkt, das sich die Zugvögel, vor allem die Störche, dieses Jahr in der Gegend auch schon viel früher als sonst gesammelt hätten. Wir plaudern über Störche, die sich in letzter Zeit wieder vermehrt haben. Zum einen - so der Controller - liege dies wohl an einigen Schutzmaßnahmen. Zum anderen daran, dass Störche sich nicht dazu eignen, in die Pfanne gehauen zu werden, da sie komisch schmecken. Schlechter Geschmack schützt auch in diesem Fall. Er berichtet davon, wie sich in den letzten Jahren seiner Dienstzeit die Vogelarten rund um den Flugplatz verändert haben - und davon, welche Folgen dies für das natürliche Gleichgewicht hat. Als durch das offene Fenster deutlich hörbar ein Motorradfahrer die Schnellstraße hinter dem Flugplatz entlangrast, wechselt er zum Thema Organspende.

Er berichtet davon, wie im Durchschnitt drei bis viermal pro Jahr in mitternächtlichen Aktionen Maschinen in Donaueschingen landen, die Organe verunglückter Personen abholen. Die Organe wurden zwischenzeitlich in einem nahegelegenen Krankenhaus herausoperiert. In meiner Phantasie stelle ich mir diese unheimlichen Schwebebilder zwischen Leben und Tod vor. Das hat so gar nichts mit der Unbekümmertheit zu tun, mit der wir meist unserem Freizeitvergnügen nachgehen. Dennoch ist es aber, wenn man nur einen Schritt weiter denkt, geradezu erschreckend nah dran.

Nachdem ich gestern den Tag habe Tag sein lassen und statt zu fliegen nachmittags in die Sauna gegangen bin, wollte ich es heute doch wissen. Wir schafften es, mal ein wenig früher aufzustehen und fuhren gemeinsam zum Flugplatz. Inzwischen sind wir ein richtig tolles Team geworden. Aus dem Tag, an dem wir es kaum geschafft haben, den Flieger zusammen zu bauen, habe ich gelernt. Dank Wasserwaage, gut gefetteten Bolzen und genauerem Blick (alles muss gut fluchten) gelingt es uns nun mühelos den Apis 2 aufzubauen. Am besten alleine.

Da ich beim letzten Flug mehrmals und dazu noch über längere Strecken den Motor gebraucht hatte, mussten wir noch Sprit holen. Schnell noch das Öl hineingemischt und getankt - wobei „tanken“ ein echter Euphemismus ist, so langsam läuft wegen der schlechten Tankentlüftung der Sprit in den Tank - und dann hängen wir den Flieger an die Zugstange und fahren zum Pistenende 18.

Dort checke ich wie immer alles. Doch ich bin ungeduldig, weil ich nicht weiß, wie das Wetter wird. Aus Westen sind Gewitter gemeldet, die Wolken, die schon jetzt am Himmel stehen sehen wirr aus, wie die Haare eines alten, zotteligen Mannes. Überhaupt gibt es nur ein oder zwei Wolken, von denen ich meine, dass es sich lohnt zu starten. Aber ich will es versuchen. Dank des Gegenwindes, der genau auf der Bahn steht, kann ich sehr schnell die Flügel gerade nehmen. Nach dem Abheben halte ich den Flieger noch in niedriger Höhe, nehme ein wenig Fahrt auf und steige dann mit der recht niedrigen Geschwindigkeit steil in den Himmel - so kommt es mir vor. Es ist so ganz anders, als das Hinaufkriechen im Kempten, bei den heißen Temperaturen, dem Rückenwind und der schwülen Luft.

Ich schwenke Richtung Schwarzwald, so soll es heute sein. Einige Wolken ziehen schon sehr gut, ich lasse mich steiler als sonst in die Thermik fallen, probiere den Flieger aus, der mir noch fremd ist, was sind schon die paar Starts, die ich bislang gemacht habe? Vor mir baut sich zu meiner großen Freude eine Wolkenstraße auf zeigt in Richtung Feldberg. Ich erinnere mich an meinen ersten Flug hier im Revier, auch wenn damals die Verhältnisse wesentlich besser waren. Dennoch freue ich mich. Sage ja zu diesem Flug, so laut ich kann. Ich will heute fliegen, egal welche Strecke, egal welche Höhe, einfach nur die Aussicht genießen, die Freude an der Sache.

Ich frage mich, ob dies das Richtige für mich ist, aber ich weiß auch, dass das dumme Gerede über Steigen, Strecken, Durchschnittsgeschwindigkeiten und Punkte nicht mehr meine Sache ist. Ach, wenn es denn wenigstens Gerede wäre! Aber es sind ja nur stumm ausgewertete Dateien. Ein Datum für ein Erlebnis, eine Datei für einen Flug, eine Dateienliste für ein Segelfliegerleben. Mehr ist es dann ja oft nicht. Lohnt sich das? Mir ist das zu wenig!

Zusammen mit einer LS 1f kann ich die Leistungen meines Apis 2 im direkten Vergleich testen. Wie erwartet schneide ich schlechter ab. Was soll es - das ist nicht mehr meine Welt. Überhaupt wird langsam der Wind stärker. Meine Navi zeigt mir, dass meine Fluggeschwindigkeit etwas völlig anderes ist, als meine Geschwindigkeit über Grund. In anderen Worten: Es gibt Gegenwind, der mich am Vorankommen hindert - dafür ist der kleine, schmucke Flieger nicht gerade gemacht. Mein Schatten am Boden wäre gerade noch so schnell wie ein Moped. Trotzdem freue ich mich über jeden kleinen Abschnitt, den ich vorankomme, über Orte, die ich kenne, vorhin gerade die Staumauer im Linacher Tal, nun bin ich trotz des Windes gleich beim Titisee. Eine breite, unergründlich dunkle Fläche spannt sich vor und über mir auf. Das ist nicht mehr das Gefühl, unter einer Wolke zu segeln, dass ist eher das Gefühl in einem Bergsee zu tauchen. Ich versuche nur im Geradeausflug zu steigen, weil ich zu faul zum Kreisen bin. Das andere Flugzeug ist längst weg, aber ich bin nur kurz traurig, weil ich mir denke, dass jeder das machen soll, wozu er am meisten Lust hat. Und ich möchte jetzt dieses Panorama genießen.

Was selten gelingt, passiert nun, ich steige seitwärts an eben der Wolke hoch, unter deren Kielschatten ich so lange schwebte, ich übersteige die Basis durch ein paar seitlich verströmende Wolkenfetzen hindurch. Dieser Moment macht mich unendlich enthusiastisch, denn er verbindet Leichtigkeit mit Freiheit. Genau darum sollte es ja beim Fliegen gehen.

Im Westen stehen nun die Gewitter. Klar und deutlich zeichnen sich die überquellen Ausbuchtungen der Wolken gegen den noch blauen Himmel ab. Die Stimmung am Himmel verändert sich mit beinahe jedem Kreis, den ich jetzt machen muss, um meine Höhe zu halten. Erst schwenke ich am Titisee nach Süden um dann wieder mehr nach Osten zu fliegen. Der Rückenwind schiebt mich fast ohne Höhenverlust meiner neuen Wolke entgegen.

Ich will heute nichts riskieren. Heute bin ich geduldig mit mir selbst. Nur ein wenig fliegen, keine großen Sachen, dafür reicht weder Material noch Zeit. Also mache ich mich auf den Weg nach Hause, so sagt man oft, aber was damit gemeint ist, ist nur der Flugplatz, von dem aus man gestartet ist. Ein Zuhause, das wäre etwas ganz anderes, sicher sind beides aber Orte, an die man gerne zurückkehrt, so wie ich jetzt. Es wird auch notweniger, denn im Norden und im Süden bilden sich schon Regenschauer. Ich beschließe, den Flug zu beenden. Unterwegs begegnet mir noch eine ganze Flotte an Segelflugzeugen, wahrscheinlich die Teilnehmer eines Wettbewerbs irgendwo. Wie lächerlich dies in meinen Augen wirkt, wie sie alle dort zusammen einem geodatierten Wendepunkt entgegen fliegen, einer macht, was der andere auch tut, sie unterscheiden sich kaum und am Ende wird es sicher schwierig sein, einen Gewinner feststellen zu müssen. Vielleicht einer, der um ein paar Punkte besser war, oder eher einer, der seine eigene Route geflogen ist? Warum müssen diese Personen sich überhaupt vergleichen? Ich halte es da mit Franz Kafka, der einmal sagte, dass es im Leben keinen Sinn macht, in einem Rennen der Erste sein zu wollen.

Am Ende habe ich fast Schwierigkeiten, runter zu kommen. Die Luft trägt mich, wo ich doch landen will. Ich muss mir bewusst Sinkgebiete suchen. Dort kreise ich dann. Anders noch als in den ersten Jahren meiner Fliegerei, in denen jede Sekunde eines Fluges so kostbar war, dass ich immer versuchte, so langsam wie möglich zu sinken (wobei einem bestimmte Flugzeuge, die heute niemand mehr gerne fliegt, sehr nützlich sein können), möchte ich heute einfach landen. Der Flug ist vorbei.

Im Funk höre ich wie mir der Controller die Windrichtung und -stärke angibt. Es herrscht recht starker Seitenwind. Viel für meinen leichten Apis 2. Bei einem solchen Wind bin ich noch nie gelandet. Ich kurve in den Queranflug und ziehe die Bremsklappen, da ich noch zu hoch bin. Im Endanflug merke ich, wie mich der Wind versetzt, ich muss die Nase des Fliegers in den Wind richten, um nicht abgetrieben zu werden. Über der Piste schwebe ich lange, nun bin ich mir sicher, dass sie Landung gelingt. Vorhin wackelte alles so stark, dass mir Angst und Bange wurde. Erst als ich mir sicher bin, dass ich weit genug bin, setze ich den Flieger auf den Boden - ich kann ich erst im letzten Moment in Richtung der Piste ausrichten. Noch ein paar Meter rolle ich, dann komme ich mit Hilfe der Klappen und der Bremse genau am Abrollweg zu stehen. Schnell steige ich aus, drehe den Flieger um 90 Grad und ziehe ihn in den Taxiway - da sehe ich auch schon das rote Auto mit meiner Frau kommen, die mich abholt.

Mit diesem Flug bin ich sehr einverstanden, auch wenn es eher ein Spiel war. Aber die Ernsthaftigkeit lauert in meinem Leben an so vielen Stellen, dass mir dieses Spiel immer lieber wird. Man sieht mehr, fühlt mehr, erlebt mehr. Man fliegt mehr.

Traurig werde ich erst, als ich von den frühen Zugvögeln höre. Schon immer haben mich die Zugvögel fasziniert. Es wird wohl kaum einen Menschen geben, der sich nicht von ihnen rühren lässt. Sie verkünden das Ende des Sommers. Frühe Zugvögel sind ein Zeichen dafür, dass selbst die elementaren Regeln, auf die wir uns immer als so glühende Anhänger des Status Quo verlassen, letztlich im Fluss sind. Ich fliege mit Ihnen, so lange geht. In Gedanken. Und ich erwarte sie wieder, so oft es noch geht.

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