28. Juli 2012

Donnerwetter


Zusammen mit meiner Frau sitze ich abends auf Klappstühlen mitten in der Natur des Schwarzwaldes und betrachte den Sonnenuntergang drüben hinter den Vogesen. Es ist unser Lieblingsplatz gleich hinter dem Alteck, man blinkt genau auf den Kandel. Viel schöner kann Landschaft, kann Leben kaum sein. Wir bemerken gar nicht, dass vom Feldberg her ein Gewitter heranzieht. Aber wir bemerken den wütenden Bauern, der mit Frau und Kind angefahren kommt, um uns zurecht zu weisen. Wir stünden auf seinem Grundstück und würden das Gras platt machen. Zum Glück interessiert sich die 16 Monate alte Tochter für unsere Chips und bringt das Eis zum Schmelzen. Nach einer Stunde Plauderei sind wir fast schon Freunde geworden.
Tagsüber flog ich genau über diese Landschaft, es hat ein Schwarzwald-Tag werden sollen. Diesmal war ich ausgeschlafener und wusste schon, wie ich auf dem Acker hinter der Schwelle meinen Flieger aufbaue. Ich musste den kleinen Zweitakter 12 Minuten schnurren lassen, um die erste Wolke am Rande des Schwarzwaldes zu erreichen. Beim Aufrüsten hatte ich noch Zweifel, so wenig Wolken, so schiefe Wolken. Ich musste mehr arbeiten, als am Tag zuvor. Vielleicht war dieser Flugtag der Abspann zum „großen Kino“ von gestern?
Doch dann wurde es immer besser. Die Wolken bauten sich auf, der Wind kam nur schwach von Süden. Und die Wolkenuntergrenze stieg und stieg, immer wieder kratzte ich bei einer Basis von 2700 Meter an der FIR Zürich oder Langen. Tief ging heute nur, wenn man sich absichtlich zu lange im Saufen aufhielt. Zwar ging es nicht so bequem geradeaus wie am Tag zuvor, dennoch fand ich immer einen Aufwind, der mich ein paar Stockwerke höher hiefte.
Zwischendurch bildeten sich grandiose Wolkenstraßen, dunkle Wolkendächer, unter denen ich mich fühlte, wie ein Tiefseetaucher. Einmal musste ich sogar aus der tragenden Linie ausscheren, sonst wäre ich ruck zuck in der Wolke gefangen worden. Selbst mit gerade noch zulässiger Geschwindigkeit hatte ich im Geradeausflug noch Steigen. Hier zeigte der Flieger seine Grenzen, mit einem Segelflieger normaler Bauart hätte man dieses Steigen sicher noch „wegdrücken“ können. Aber soll ich mich darüber ärgern, wenn es doch wieder an jeder Ecke noch oben geht?
Nur ein paar wenige Flieger waren heute unterwegs, die meisten hatten wohl das Wetterfenster unterschätzt. So konnte ich entspannt fliegen, ohne ständig auf die Testesteron-Bomber zu achten. Der Tag verging in tragender Stimmung, so könnte es jetzt noch ein paar Wochen weitergehen. Das erste Mal seit langem fühlte ich mich in Urlaubsstimmung. Zwar war das fliegbare Fenster deutlich kleiner als am Tag zuvor, aber für genussvolles Gleiten über Schwarzwald und Baar reichte es allemale. Und dann dieses Basishöhen! Ich konnte es kaum glauben, freute mich aber über dieses ideale Apis-2 Wetter.
Nur der Rückflug wurde etwas arbeitsamer. Über dem Schwarzwald regenete es bereits, vor mir hatte sich bereits alles, was mich heben könnte aufgelöst bzw. zu dunklen Fetzen zusammen geschoben. Mit nur 300 Metern über Gleitpfad (ohne genauen auf den Apis 2 abgestimmten Endanflugrechner) wollte ich – aus Norden kommend – nicht über Villingen gleiten. Zumal bei ca. 20 km/h Gegenwind. Aber dann fand ich, dank der hervorragenden Steigeigenschaften des Apis 2, doch noch einen Aufwind, schwach zunächst, weniger als einen halben Meter Steigen pro Sekunde. Dann aber einen „runden“ Meter. Das reichte, um dann mit Speed zurück nach Donaueschingen zu zischen und dann mit voll gezogenen Klappen einen eng gekurvten Gegenanflug zwischen zwei landenden Motormaschinen hinzulegen, der direkt vor meinem Hänger endete.
Nun könnte mein Urlaub beginnen, dachte ich beim Abledern der Flächen. Wenn ich nicht so viel zu tun hätte. Aber ich versprach mir, nun noch jeden fliegbaren Tag mitzunehmen. Schließlich brauchte ich auch Energie für meine Projekte.
Zum Abschied sagte uns der Jungbauer, dass wir Glück gehabt hätten. Wäre sein Vater gekommen, er hätte richtig mit uns geschimpft, es hätte ein Donnerwetter gegeben. So aber rollte nur das Donnern und Blitzen vom Feldberg herüber. Wir stauten noch eine Stunde auf unserem Balkon, bevor es dann zu regnen begann und wir ins Bett gingen.

26. Juli 2012

Großes Kino


Wenn in Hollywood ein Film ein Kassenschlager werden soll, dann benötigt dieser drei Zutaten: eine gute Idee, eine spannende Dramaturgie und eine perfekte Lichtsetzung. Diese drei Elemente hatte ich heute auf meinem Flug ebenfalls mit an Bord.
Die Idee, Fliegen zu gehen, war erst einmal nicht so gut. Ich hatte die halbe oder gefühlt die ganze Nacht nicht geschlafen. Das eine oder andere Würstchen oder Steak des Grillabends lag wohl noch schief. Da half auch kein Tobinambur („Rossler“), mein Lieblingsgift aus dem Schwarzwald. Also versuchte ich einfach entspannt dazuliegen und zu warten, bis die Nacht vorbei ging. Was nicht einfach ist, wenn man weiß, dass am folgenden Tag ein guter Flugtag angesagt ist. Für den man eigentliche ausgeschlafen sein sollte.
Ich stand also einfach auf, machte mir einen starken Kaffee und packte alles Notwendige für einen Flugtag ein, ohne die letzte Nacht weiter zu thematisieren oder nachzudenken, ob ich besser Veganer werden sollte. Mittags war ich in der Luft. Alles klappte gut, der autonome Aufbau selbst auf dem Acker hinter der Piste 18, der Start mit dem neu eingestellten Vergaser. Nur drei oder vier Minuten lief der Motor, gleich nach dem Abheben wurde das Eigensteigen durch einen kräftigen Bart unterstützt, der mir 4,5 Meter pro Sekunde Gesamtsteigen auf das Variometer zauberte.
Damit sind wir bei der Dramaturgie. Diese lässt sich einfach zusammenfassen: Wolken, große Wolken, Wolkenstraßen. Ein Traum. Kaum Wind – ein perfekter Tag für den Apis 2. Die erste Wolke nach dem Einfahren des Motors kreiste ich bereits auf über 2000 Meter aus, dann ging es immer nur weiter gerade aus Richtung Osten. Auch das gehörte zur Dramaturgie: heute war ein Alb-Tag. Im Delphin-Flug das Steigen mitnehmen, unter langen dunklen Wolkenstraßen dahingleiten. Ich flog bis zur Grenze des gelben Bereiches, immer mit 140 km/h zwischen den Steiggebieten. Bei dieser Höhe heute war das kein Problem.
Immer wieder ballten sich Wolkentürme auf, versperrten Weg und Sicht, spielen mit ihrer Kraft. Entweder fielen sie wieder zusammen, oder sie verbanden sich mit anderen Kraftprotzen zu noch größeren Türmen. Und damit sind wir beim Licht. Ich wusste den ganzen Tag nicht, ob ich mir beim Kappe tief ins Gesicht ziehen sollte um mich vor dem gleißenden Licht auf freier Strecke zu schützen oder ob ich eine Leselampe im Cockpit anmachen sollte, weil es unter den prallen Wolken so dunkel war.
Hinter dem Nördlinger Ries waren die Wolken nicht mehr freundlich sondern bedrohlich. Schweren Herzens kehrte ich um, nicht ohne einen kleinen Schwenker über den Hornberg zu machen. Zuerst überkam mich ein wenig Wehmut und Nostalgie, ich musste an die vielen Wochenenden und Sommer dort denken, an meine Frau und unseren alten Wohnwagen. Doch dann freute ich mich auch, dass es weiter ging, das Leben Entwicklung sein durfte. Ein paar geheime Gedanken, die ich nur mit meiner Frau teilen werde, schossen mir über unsere gemeinsame Zukunft durch den Kopf. Und dann war der Hornberg schon wieder verschwunden.
Der direkte Rückweg wurde mir von einer überentwickelten Wolke versperrt. Nicht das erste mal fand ich heute Steigen im Regen, kurvte dann aber doch nach Norden um das Ungeheuer sicher zu umfliegen. Ich stolperte in Riesenhöhe aus der Alb, sah aber, dass ich den Schwarzwald nicht erreichen würde. Dort regnete es bereits. Später stellte ich fest, dass mir meine Frau eine besorgte Nachricht auf meine Mailbox gesprochen hatte. Sie hatte befürchtet, dass ich unterwegs irgendwo vom Regen aus dem Himmel gespült worden wäre.
Aber nein, es lief gut. Sehr gut sogar. Noch immer steig die Basis. Es würden dann später 400 km gewesen sein, nach OLC vielleicht auch 450. Aber das spornte mich im Moment nicht an. Das war nicht mehr meine Welt, wenngleich ich ab und zu in diese blickte - aber eher, um die Leistungsfähigkeit des Apis 2 zu dokumentieren. Ich war fasziniert vom großen Kino um mich herum, dem Himmelskino. Ein Programm, nach dem wir alle mehr oder weniger süchtig sind, wenn wir einmal mit dem Fliegen begonnen haben. Das große Kino, das ins Herz geht und in den Kopf, vielleicht auch in die Seele, sollte es diese tatsächlich geben.
Ich war hundemüde und hatte große Probleme mich aufgrund des Schlafmangels zu konzentrieren. Es gab keinen Horizont, weil die Sicht so schlecht war. Mein Wassersack war ausgelaufen und ich saß hier oben in einer kalten Pfütze. Und dennoch könnte ich mir diesen Film immer wieder ansehen, er würde mich nie langweilen. In einem letzten schnellen und ruhigen Gleitflug durchstach ich die letzte dunkle Wand, die mich noch von meinem Heimatflugplatz trennte und schwebte in einem Meter Höhe über die lange Piste von Donaueschingen um dann fast direkt vor meinem Hänger zum Stehen zu kommen. Das große Kino war vorbei, das Kino im Kopf fängt damit aber erfahrungsgemäß an. Nach diesem Film werde ich sicher gut schlafen.