26. Juli 2012

Großes Kino


Wenn in Hollywood ein Film ein Kassenschlager werden soll, dann benötigt dieser drei Zutaten: eine gute Idee, eine spannende Dramaturgie und eine perfekte Lichtsetzung. Diese drei Elemente hatte ich heute auf meinem Flug ebenfalls mit an Bord.
Die Idee, Fliegen zu gehen, war erst einmal nicht so gut. Ich hatte die halbe oder gefühlt die ganze Nacht nicht geschlafen. Das eine oder andere Würstchen oder Steak des Grillabends lag wohl noch schief. Da half auch kein Tobinambur („Rossler“), mein Lieblingsgift aus dem Schwarzwald. Also versuchte ich einfach entspannt dazuliegen und zu warten, bis die Nacht vorbei ging. Was nicht einfach ist, wenn man weiß, dass am folgenden Tag ein guter Flugtag angesagt ist. Für den man eigentliche ausgeschlafen sein sollte.
Ich stand also einfach auf, machte mir einen starken Kaffee und packte alles Notwendige für einen Flugtag ein, ohne die letzte Nacht weiter zu thematisieren oder nachzudenken, ob ich besser Veganer werden sollte. Mittags war ich in der Luft. Alles klappte gut, der autonome Aufbau selbst auf dem Acker hinter der Piste 18, der Start mit dem neu eingestellten Vergaser. Nur drei oder vier Minuten lief der Motor, gleich nach dem Abheben wurde das Eigensteigen durch einen kräftigen Bart unterstützt, der mir 4,5 Meter pro Sekunde Gesamtsteigen auf das Variometer zauberte.
Damit sind wir bei der Dramaturgie. Diese lässt sich einfach zusammenfassen: Wolken, große Wolken, Wolkenstraßen. Ein Traum. Kaum Wind – ein perfekter Tag für den Apis 2. Die erste Wolke nach dem Einfahren des Motors kreiste ich bereits auf über 2000 Meter aus, dann ging es immer nur weiter gerade aus Richtung Osten. Auch das gehörte zur Dramaturgie: heute war ein Alb-Tag. Im Delphin-Flug das Steigen mitnehmen, unter langen dunklen Wolkenstraßen dahingleiten. Ich flog bis zur Grenze des gelben Bereiches, immer mit 140 km/h zwischen den Steiggebieten. Bei dieser Höhe heute war das kein Problem.
Immer wieder ballten sich Wolkentürme auf, versperrten Weg und Sicht, spielen mit ihrer Kraft. Entweder fielen sie wieder zusammen, oder sie verbanden sich mit anderen Kraftprotzen zu noch größeren Türmen. Und damit sind wir beim Licht. Ich wusste den ganzen Tag nicht, ob ich mir beim Kappe tief ins Gesicht ziehen sollte um mich vor dem gleißenden Licht auf freier Strecke zu schützen oder ob ich eine Leselampe im Cockpit anmachen sollte, weil es unter den prallen Wolken so dunkel war.
Hinter dem Nördlinger Ries waren die Wolken nicht mehr freundlich sondern bedrohlich. Schweren Herzens kehrte ich um, nicht ohne einen kleinen Schwenker über den Hornberg zu machen. Zuerst überkam mich ein wenig Wehmut und Nostalgie, ich musste an die vielen Wochenenden und Sommer dort denken, an meine Frau und unseren alten Wohnwagen. Doch dann freute ich mich auch, dass es weiter ging, das Leben Entwicklung sein durfte. Ein paar geheime Gedanken, die ich nur mit meiner Frau teilen werde, schossen mir über unsere gemeinsame Zukunft durch den Kopf. Und dann war der Hornberg schon wieder verschwunden.
Der direkte Rückweg wurde mir von einer überentwickelten Wolke versperrt. Nicht das erste mal fand ich heute Steigen im Regen, kurvte dann aber doch nach Norden um das Ungeheuer sicher zu umfliegen. Ich stolperte in Riesenhöhe aus der Alb, sah aber, dass ich den Schwarzwald nicht erreichen würde. Dort regnete es bereits. Später stellte ich fest, dass mir meine Frau eine besorgte Nachricht auf meine Mailbox gesprochen hatte. Sie hatte befürchtet, dass ich unterwegs irgendwo vom Regen aus dem Himmel gespült worden wäre.
Aber nein, es lief gut. Sehr gut sogar. Noch immer steig die Basis. Es würden dann später 400 km gewesen sein, nach OLC vielleicht auch 450. Aber das spornte mich im Moment nicht an. Das war nicht mehr meine Welt, wenngleich ich ab und zu in diese blickte - aber eher, um die Leistungsfähigkeit des Apis 2 zu dokumentieren. Ich war fasziniert vom großen Kino um mich herum, dem Himmelskino. Ein Programm, nach dem wir alle mehr oder weniger süchtig sind, wenn wir einmal mit dem Fliegen begonnen haben. Das große Kino, das ins Herz geht und in den Kopf, vielleicht auch in die Seele, sollte es diese tatsächlich geben.
Ich war hundemüde und hatte große Probleme mich aufgrund des Schlafmangels zu konzentrieren. Es gab keinen Horizont, weil die Sicht so schlecht war. Mein Wassersack war ausgelaufen und ich saß hier oben in einer kalten Pfütze. Und dennoch könnte ich mir diesen Film immer wieder ansehen, er würde mich nie langweilen. In einem letzten schnellen und ruhigen Gleitflug durchstach ich die letzte dunkle Wand, die mich noch von meinem Heimatflugplatz trennte und schwebte in einem Meter Höhe über die lange Piste von Donaueschingen um dann fast direkt vor meinem Hänger zum Stehen zu kommen. Das große Kino war vorbei, das Kino im Kopf fängt damit aber erfahrungsgemäß an. Nach diesem Film werde ich sicher gut schlafen.

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