Als ich meinen Hänger öffne, sehe ich einen Jungen
auf mich zukommen. Er stand an der noch verschlossenen Halle der Segelflieger
und wartete darauf, dass der Fluglehrer und andere Schüler kommen. Wir
begrüßten uns und tauschten unsere Namen aus. Dann fragte er pflichtbewusst, ob
er mir helfen könne. Ich musste ihn enttäuschen, aber ich plauderte ein wenig
mit ihm, um nicht zu brüsk zu wirken. 3o Jahre zogen an meinem inneren Auge
vorbei. 30 Jahre einer Entwicklung, über die ich – als Zweifler geboren – in
regelmäßigen Abständen rätsele.
Da war der Junge, der Flugzeugmodelle baute und
flog, weil die Eltern ihm den Eintritt in einen Segelflugverein verboten
hatten. Der begeisterte Mitflieger, dort, wo sich eine Möglichkeit bot – die
manchmal JAHRE auf sich warten ließ. Der Befreiungsschlag in einer Flugschule,
das ganze Gesparte wird für einen Freiflug auf den Kopf gehauen. Und dann die
Jahre der Odyssee durch Vereine an verschiedenen Orten. Es gab Zeiten, da stand
ich wie der Junge mir gegenüber auf Flugplätzen und hätte alles dafür gegeben
eines dieser Sehnsuchtsobjekte anfassen zu dürfen. Nur um mich der Illusion
hinzugeben, dabei zu sein, einer von denen, die die Helden meiner Kindheit und
Jugend waren.
Dieser Impuls geht wohl nie verloren. Sonst stünden
auf Luftfahrtmessen nicht Menschen um Flugzeuge, die sie bestaunen, in die sie
sich setzen, von denen sie träumen. Immerhin das – Träumen – muss erlaubt sein
und schützt gegen den Unrat in der Welt.
Mittlerweile ist das Fliegen säkularisiert, seinem
Mythos entraubt, der in der Kindheit noch so leicht gepflegt werden konnte, der
sich beim heimlichen Lesen von Büchern, nachts unter der Bettdecke, fast von
ganz alleine aufdrängte. In der Frage des Jungen, „soll ich helfen?“ klang auch
dieses Seltsame „darf ich dabeisein?“ mit , dass ich nur zu gut kannte, weil es
für viele Jahre meines Lebens die Sehnsuchtsformel gewesen war.
Auch wenn ich gegenwärtig nicht wusste, wohin mich
die weitere Entwicklung fliegerisch bringen würde, war doch wenigstens klar,
dass heute ein guter Flugtag auf mich warten würde, also baute ich (allein)
auf, solange es noch nicht zu heiß war. Mit meiner neuen Schleppvorrichtung zog
ich den Apis 2 an das Ende der Piste. Vor mir war ein Nimbus 4 gestartet, eines
dieser Riesendinger, die mit unverhältnismäßig mehr Aufwand doch letztlich nur
das Gleiche suchten. Der Motor lief zu meiner großen Freude einwandfrei, so
dass ich gut Höhe machte. Im Steigflug erwischte ich einen Aufwind, der mir ein
Gesamtsteigen von 4m/s brachte, so dass ich schon bald den Motor abstellen
konnte. Beim Einfahren des Motors sah ich Richtung Platz, dort wurde gerade die
Winde aufgebaut.
Für heute konnte das Spiel beginnen. Ich flog in
dem Bewusstsein, dass dies möglicherweise der letzte Flug für mich in dieser
Saison sein würde. Schon bald würde ich in Wien sein und dort meine
Gastprofessur antreten. Damit war die Saison für mich dieses Jahr um 6 Wochen
verkürzt. Aber der Flug bescherte mir einen angenehmen Abschied.
Die Basis war nicht mehr so traumhaft hoch, wie bei
einigen der letzten Flüge, aber der Himmel war klar durch Wolkenbänder
konturiert, denen ich blind vertraute und folgte. Der Weg war durch die
Windrichtung vorgezeichnet – Osten. Gegen den Wind hin und dann mit Rückenwind
zurück war heute die Devise. Ich bewegte mich zwischen den Luftriffen wie der
kleine Fisch Nemo auf der Suche nach ein bisschen Glück. Das gute Wetter hatten auch andere bemerkt, mein
Flarm hörte sich an, wie ein Alleinunterhalter auf einer goldenen Hochzeit,
dauernd machte es Töne, die zwar nicht gut klangen, aber immerhin einen Nutzen
hatten. Ich sah zweimal einen Taurus, eine Menge K-8en, einen Califen und eine
SB 5. Und natürlich das Übliche an Kunststoffsegelfliegern.
Ein wenig im Zick-Zack ging es über die Alb, wobei
ich versuchte, den letzten Artikel, den ich über sauberes Kurbeln gelesen
hatte, in die Tat umzusetzen. Hatte ich 45 Grad Schräglage? Kreiste ich in
beide Richtungen gleichgut? Nein, nein, also übte ich weiter. Die Landschaft
kam mir inzwischen merkwürdig vertraut vor, ein wenig fast empfand ich eine
schmerzliche Agonie, weil mich immer das Neue, nie aber das Bekannte reizte.
Mein Leben bestand immer im Wandel, das tut es immer, gleichwohl achten wir
meistens auf den Wiedererkennungseffekt und viel zu selten auf den Kontrast.
Vielleicht war auch das der Grund, warum ich manchmal des ewigen Kreisens
überdrüssig wurde und mich nach neuen Landstrichen unter den Flügen sehnte.
Mein Gehirn braucht wohl mehr Abwechslung, als ich im bieten kann.
Ich
konnte die Entwicklung der Wolken nicht so richtig einschätzen, aber
irgendwie war mir mulmig. Noch standen die Wolken brav aufgebauscht in einer Reihe,
aber ich traute dem Frieden nicht. Noch eine Wolken nach Osten nahm ich mir vor
und drehte dann über Günzburg wieder in Westrichtung. Diesmal ging alles mit
Rückwind viel einfacher. Die Windkomponente macht sich beim APIS 2 einfach
bemerkbar – das ist auch der einzige Unterschied zu anderen Segelflugzeugen.
Ich flog an der nördlichen Albkante entlang, die
Teck und den Flughafen Stuttgart in Sicht und genoss das wunderbare Panorama
dieser Landschaft. Mal ging es besser, mal schlechter, aber nie hatte ich
wirklich Mühe, mich wieder hoch zu arbeiten. Wohl auch, weil sich immer mehr
Flieger und immer weniger Wolken konzentrierten und so jeden verfügbaren Bart
markierten. Denn mein Gefühl war richtig gewesen. Ab halb Fünf bauten die
Wolken rapide ab und bald der Himmel bis auf ein paar Fetzen blau. Ich schaffte
es aber mühelos, hier und da noch einen Aufwind zu finden und meldete mich dann
kurz vor Sechs zufrieden mit dem Tag zur Landung in Donaueschingen, hinter mir
eine Zweimot der Swissair im direkten Anflug.
Noch als mein APIS 2 fix und fertig im Hänger verstaut
war, herrschte Windenbetrieb. Ich schaute hinüber und dachte an meine Zeit als
Flugschüler zurück. Manchmal hatte ich zwölf Stunden auf dem Fluggelände
verbrachte, für einen dreiminütigen Start. Ich wünschte dem Jungen, der mir am Morgen
hatte helfen wollen, mehr Glück und ein zeitgemäßeres Ausbildungskonzept. Bei
einem aber war ich mir sicher: Das sehnsuchtsvolle Streben wird sich nie
ändern, nur in immer wieder neuer, verkleideter Form auftreten.
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