Ohne Vorankündigung änderte sich alles: das Licht, die Stimmung, die inneren Fragen, die drängten. Für einem Moment, nicht länger als ein paar Minuten, Minuten, die man ansonsten im Alltagsleben gerne mit allerlei Belanglosigkeiten vertrödelt, für diesen, um ein wenig Hoffnung verlängerten Augenblick, war alles fraglos stimmig: Ich wusste wer ich war und was ich tat. Ich wusste, warum ich unter dieser Wolke flog und warum ich in diesem Flieger –meinen Apis 2 – saß. Alle anderen Fragen waren entrückt. Hätten sie mich aber erreicht, so hätte ich auf jede einzelne eine stimmige Antwort parat. Indem ich so fühlte und dachte, existierte ich als Mensch voll und ganz.
Nachdem ich ein paar kleinere technische Schwierigkeiten überwunden hatte, zogen wir gemeinsam den Flieger an den Start. Wir, dass sind immer meine geliebte Frau und ich. Sie begleitet mich durch das Leben und sie gibt mir – hier im wörtlichen Sinne – Starthilfe. Heute rollte ich zum ersten Mal alleine von der Wiese (auf der ich meine Startvorbereitungen mache) auf die große, für meinen kleinen Flieger völlig überdimensionierte Startbahn in Donaueschingen. Ich gab stetig Gas und beschleunigte. Auch dieser Moment war in einer gewissen Weise magisch, oder sollte ich besser sagen: erhebend. Ich startete mit einem Segelflugzeug alleine, ohne fremde Hilfe, ohne die verhasste Winde, ohne den aufwendigen F-Schlepp. Nach ein paar Metern hob ich ab und stieg stetig in den Himmel. Nach Erreichen der Sicherheitshöhe drehte ich nach Norden, weil dort die Wolken standen, im Süden war es blau. Diese Wolken waren mir dann aber doch zu weit weg, ich hatte keine Lust, das kleine Motörchen, das den Apis 2 und mich in den Himmel zog, mehr als notwendig zu quälen. Also schwenkte ich nach Westen, Richtung Schwarzwald und steuerte eine kleine Wolke an, die mir als Plattform für diesen Flugtag dienen sollte.
Der Motor fuhr – anders als sonst – problemlos ein. Ich stieg in den Thermikbart ein und fand nach ein paar Versuchen das Zentrum. Ab nun war ich ein reines Segelflugzeug, ein ultraleichtes zudem. Schnell stieg ich und schnell merkte ich, was dieser Tag, der für mich erst mit einen Start um 16 Uhr Ortszeit begonnen hatte, noch alles zu bieten hatte.
Immer weiter, von Wolke zu Wolke flog ich nach Westen und immer weiter hob sich die Basis. Ich war nun mitten über dem Hauptkamm des Schwarzwaldes und ich fühlte mich sicher. Unter mir, die tief eingeschnittenen Täler, die Sonnen- und die Winterhänge, die Wälder. Zum ersten Mal konnte ich entspannen und die Rapsfelder, die mich saftig gelb aus der Ferne anblinkten, genießen. Ich ergötzte mich an den Lichtreflexen der Bäche und fand mich schon hoch über dem Titisee von wo aus ich souverän weiter zum Schluchsee glitt.
Nun wurde es Zeit für den Feldberg, auf dessen Gipfel noch die letzten Reste des Schnees lagen. So wurde das Fliegen für mich in zweifacher Weise zur Zeitmaschine. Hier, am Feldberg herrschte noch eine Art Winter und gleichzeitig schien auch für mich die Zeit stehen zu bleiben, unter dunklen Wolken. Ich schwenkte nach Norden, nachdem ich Freiburg gestreift hatte. Nun begann eine wundersame Reise, ein Flugerlebnis, wie es sicher nicht alltäglich war. Bis Freudenstadt flog ich immer weiter nur im Delfinflug, ohne einen Kreis, immer ein Stückchen weiter, mal nach Osten, mal nach Westen schwenkend. Einmal grüßte ich einen Gleitschirmpiloten, einmal zeigte mir ein Vogel, den ich nicht identifizieren konnte, das beste Steigen. Ich spürte hier förmlich die Energie und ich fühlte mich zunehmend glücklich. Wie gut war doch die Entscheidung gewesen, meinem Schreibtisch zu entfliehen. Welches Glück, einen Beruf zu haben, der mir dies auch während der Woche ermöglichte. Aber es war wie immer: Zunächst waren viele Gedanken in mir aufgestiegen, die versuchten, genau das zu verhindern, nach dem ich mich am meisten sehnte. Es ist zu spät, es lohnt sich nicht. Und doch war da ein Impuls, eigentlich reichte es mir schon, die Wolken anzusehen und dann stand fest: Wir fahren.
Erst über Freudenstadt machte ich meinen ersten Kreis. Ich kehrte um. Im Gegenlicht entstand dann, was sich mir als magischer Moment in die Erinnerung eingrub: Über dem gesamten Hauptkamm des Schwarzwaldes stand eine einzige Wolkenstraße. Bedrohlich dunkel wirkten die Unterseiten der Wolken, die sich ineinanderschoben. Ich suchte mir eine gute Linie, flog langsam, wenn es stieg. Mühelos ging es so voran, nicht schnell, dafür direkt angebunden an die Kraft der Natur. So stark war diese Kraft, dass ich sogar zum ersten Mal in meiner Fliegerzeit unter einer Wolke die Klappen ziehen musste, damit ich nicht hineingesaugt wurde. Immer schneller wechselten sich dunkele Abschnitte mit gleißend hellem Licht, das wie eine Befreiung wirkte. Bald aber gab es nur noch eine einzige geschlossene Wolkendecke, unter der ich zweifelnd entlang flog, weil ich befürchtete, dass durch die Abschottung des Sonnenlichts auch die Thermik zusammenbrechen würde. Das Gegenteil war der Fall. Immer sicherer trug mich die Kraftlinie unter den Wolken bis dann dieser magische Moment entstand.
Alles war so einfach. Ich war absolut eins mit mir und meiner Umgebung. Der Flieger war ein Teil von mir. Eines, das mich lange gesucht hatte, oder war ich der Suchende? Es war nicht allein die Höhe, es waren nicht allein die Kontraste. Es war das Gefühl, das absolut einzig Richtige zu tun. Dieses Gefühl hatte seine Berechtigung, nicht für das gesamte Leben, aber für diesen magischen Moment.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen