30. Mai 2012

Nachdrehen


Nachdem das Gewitter durchgezogen war, stieg ich auf mein Rad und fuhr die kleine Runde am Stausee vorbei. Nicht sehr sportlich, aber immerhin. Ein paar Tage vorher wanderten meine Frau und ich zwei Tage lang durch den Schwarzwald, 1000 Höhenmeter, mindestens. Zu Fuß und mit Rucksack. In dieser Woche hatte ich fast jede Fortbewegungsart durch, vielleicht fehlte noch der Lama-Express.
Gestern entschloss ich mich sehr spät dazu, noch fliegen zu gehen. Zwischen der Entscheidung und der Tat standen dann noch zwei Stunden Fahrt nach Mengen (dort stand mein Apis 2) und das übliche Prozedere (Aufrüsten, checken usw.). Erstaunlicherweise ging das alles sehr relaxed von sich. Marion, meine Frau, war in meiner Nähe, das beruhigt mich immer.
Kurz nach 14 Uhr konnte ich dann starten. Noch vor zwei Jahren hätte ich einen Nervenzusammenbruch erlitten. Seit 10 oder 11 Uhr standen die Cumuli sauber gereiht am Himmel. Mindestens drei Stunden Flugzeit waren mir inzwischen verloren gegangen. Aber mir ging es heute nicht um schnöde OLC-Punkte. Sollten doch andere die Tabelle mit ihren ach so vergänglichen Daten füllen. Ich wollte einfach fliegen! In die Luft und genießen.
So war es dann auch. Kurz nach dem Eigenstart kurbelte ich mit noch laufendem Motor in bester Thermik. Zumindest ein Vorteil eines späten Starts. Wozu noch den Motor laufen lassen, fragte ich mich. Also aus, rein in den Kofferraum und dann los. Wohin? Natürlich Richtung Schwarzwald, meiner Wahlheimat. Die Wolkenbasis war schlicht atemberaubend, es mag gut fünf Jahre her sein, seit ich das letzte Mal eine solche Höhe (über dem Meeresspiegel) erreicht habe. Entsprechend einfach war es, selbst mit dem Leichtgewicht Apis 2, gegen den Wind nach Westen anzufliegen. Eine Wolke und ich war über Neuhausen ob Eck, die nächste katapultierte mich schon nach Donaueschingen. Ich flog darüber hinweg, weiter in den Schwarzwald hinein. Der Feldberg lag thermisch ungünstig, also steuerte ich den Kandel an, über die Linacher Staumauer, an der ich heute entlang radelte, über Furtwangen, meinen Wohnort.
Mittlerweile hatte sich eine gigantische Wolkenstraße nach Norden hin aufgebaut. Ich musste einfach dort hin. Zunächst war das kein Problem. Nur ein paar schnelle Einsitzer und Doppelsitzer kamen mir muskelbepackt entgegen. Wie gerade aus dem Fitnessstudio kommend, pumpten sie sich unter der Wolke hoch. Ich flog in die andere Richtung, nach Norden. Mit weniger Muskeln, dafür umso mehr Zuversicht.
Doch das war nicht so ideal. Dachte ich gerade noch, dass es unter dieser dunklen Wolkenstraße gewiss ziehen muss, so wurde ich kurz darauf eines Besseren belehrt, als sich die ersten Regentropfen auf meiner Scheibe sammelten. Auf den Flächen rechts und links sowieso. Das war also ein Fehler. Im Regen herrscht selten gutes Steigen. Also nichts wie raus hier, Schwarzwald adé. Ich biege ab nach Osten. Unter der dunklen Basis erkenne ich das Zementwerk bei Rottweil, immerhin könnte ich dort landen. Eine Wolke steht dort in der Nähe. Weit, weit weg. Über mir zieht 200 Meter höher ein 18 Meter-Flieger an mir vorbei, auch er will raus aus der dunklen Brühe, auch er will zu dieser rettenden Wolke. Ein Moment, in dem ich eine Art Groll verspüre. Denn der Unterschied besteht darin, dass er ein paar echte Gleitpunkte mehr hat als ich. Aber immerhin kann ich den besseren Flieger als Thermikboje nutzen. Ich komme später an und viel, viel tiefer. Aber ich weiß, wo ich steigen kann, dank meines Vorausfliegers.
Wieder über der Alb wird das Wetter immer traumhafter. Ruck Zuck bin ich dank der gigantischen Basishöhen wieder im Gleitbereich von Mengen, eigentlich total unsportlich. Also biege ich ab Richtung Bodensee. Gerade als ich überlege, wie wohl die Jets in Friedrichshafen anfliegen, sehe ich unter mir eine Maschine von German Wings, kurz darauf eine der Lufthansa über mir. Also lieber nach Norden, obwohl ich so gerne zum Säntis und zurück geflogen wäre. Mühelos steige ich, mühelos "jette" auch ich, soweit es mein UL-Segelflieger und seine Belastungsgrenzen zulässt, zwischen Riesenwolken hin- und her. Rauschhaft wirkt das Ganze, wie in Ekstase.
Irgendwann ist dieser Rausch zu Ende, lange nach 19 Uhr lande ich dann. Ich freue mich auf die Wärme des Vorsommers, einen Abend am See mit meiner Frau. Das Waschen des Fliegers ist mein liebstes, mein heiligstes Ritual nach einem solchen Flug.
Spät nachts kommen wir zu Hause an, ich dusche und falle müde ins Bett. Aber dieser Tag, dieser Flug endet noch nicht. Es sind Flüge wie dieser, die noch lange weitergehen. Ich fliege weiter im Kopf, kann nicht anders, die Bilder tauchen immer wieder auf, die Eindrücke von Licht, Kontrasten, erlebten Gefühle zwischen Frust und Lust. Ich drehe immer weiter, bis zum Aufwachen. Das war, in diesen Dimensionen gemessen, einer meiner längsten Flüge.

14. Mai 2012

Rock'n Roll


Der Flug begann mit Rock’n Roll, ganz unterwartet. Die Luft über dem Schwarzwald kochte. Und ich nutzte die Gunst der Stunde, obwohl ich noch nicht wirklich eingeflogen war in dieser Saison. So hoch standen die Wolken, dass ich mich mühelos in die Hügellandschaft traute, die aus dieser Höhe eher flach wirkte. Wie immer ein faszinierendes Spiel mit der Perspektive.
Voran, voran, das war mein Refrain. Ich querte den Schwarzwald Richtung Freiburg, flog knapp an der Westkante über Offenburg nach Baden-Baden. Jeder Fleck Landschaft unter mir, den ich noch nie oder noch nie aus dieser Perspektive gesehen hatte, entlockte mir Freudenrufe und ein Hochgefühl. Genau das wollte ich: nicht nur Kilometer abspulen und in abstrakte Punkte und Listenplätze umwandeln, sondern neue Horizonte entdecken. Mit diesem Flug war ich mal wieder auf den Geschmack gekommen.
Schon war der Schwarzwald im Norden zu Ende und lief aus. Ich hatte kaum gemerkt, wie ich ihn überflogen hatte. Kurz vor Pforzheim wendete ich und peilte dann die Albkante an. Diesmal hatte ich dann den Schwarzwald als Kulisse in einiger Entfernung. Ein Flug, der mir unerwartet viel Leichtigkeit brachte und so ging es dann weiter.
Gleich am nächsten Tag, einem Montag, saß ich wieder im Flieger. Ich hatte einige Termine umsortiert, was nicht ganz einfach gewesen war, aber ich wollte einfach fliegen. Es war total blau. Aber was für ein Blau! Es ging hinauf in Höhen, von denen ich sonst nur zu träumen gewagt hätte. Was für ein Fliegerfrühjahr hier über meiner Wahlheimat. Erst fliege ich träge vor mich hin, dann packt mich der Rausch. Ein Muster, das ich inzwischen kenne. Erst muss ein Ziel gesetzt werden, dann geht es richtig los!
Ich fliege immer wieder auch tiefer und nutze die Zeit, mir die Landschaft einzuprägen. Ein kleiner Schatten über einem größeren Waldstück erregt meine Aufmerksamkeit. Es ist der Schatten einer Wolke, die kaum als solche zu erkennen, sich langsam herausbildet. Ein Lebenszyklus, der für Flieger eine ganz sonderbare Attraktion hat. Der Schatten wird größer, man würde ihn nie mit der winzigen Ansammlung an Wolkigkeit in Zusammenhang bringen, so hoch schwebt das, was einmal groß und mächtig werden wird, über dem Boden. Doch ich lassen meinen Blick nicht los davon, so schön sind Wolkenbild und Bodenschatten.
In diesem Moment muss ich an Hesse denken, wie er zufrieden von seinem Ruderboot erzählt. Er rudert eines Tages auf den See und lässt sich einfach treiben. Ihm ist egal, was die anderen von ihm und seinem kleinen Boot halten. Die Genussfähigkeit ist mit Einfachheit gekoppelt, nicht mit Komplexität. Dieses Bild des rudernden und rundum zufriedenen Dichters, kommt mir immer wieder in den Sinn. Es war einmal das Leitbild, das mich dazu gebracht hat, auf einen UL-Segelflieger umzusteigen.
So einfach wie ein Ruderboot ist dessen Technik dann doch nicht. Mein Motor machte mir beim Start Probleme. Nach der Landung entschließe ich mich zu einem erneuten Probestart. Mit reduzierter Kraft schleppe ich mich in die Höhe, dann geht der Motor nicht mehr aus. Ich erbitte Direktanflug auf die 36 Gras und lande mit laufendem Motor. Da ich in letzter Zeit viele Unfallberichte gelesen hatte, muss ich immer an den Satz denken: „Fliege das Flugzeug“. So lasse ich mich von den Umständen nicht mehr als notwendig ablenken und lande sicher. Der Apis 2 verhält sich auch mit ausgefahrenem Motor völlig unproblematisch. Das schafft großes Vertrauen. Trotzdem muss ich noch am selben Abend nach Mengen fahren und meinen Flieger dort zur Reparatur abgeben. Damit ist dieser Song vorerst einmal zu Ende.