23. Juni 2012

Goldrand


Auf dem Weg nach Hause gibt es, aus dichtem Wald kommend, eine Kurve, die durch eine Baumallee hindurch den Blick auf den nahenden Schwarzwald freigibt. Einige Wiesen schwingen sich langsam zu Höhe über dem Meeresspiegel auf, in der Ferne markiert eine grüne Fläche den Rand des Waldbestandes. Immer, wenn ich vom Flugplatz nach Hause fahre, den Apis 2 in seinem Hänger hinter mir herziehe, geht im Westen die Sonne unter, zwischen den Bäumen, die vorausblickende Menschen einst hier am Straßenrand gepflanzt haben. Da die Sonne dann sehr tief und genau in Blickrichtung steht, trage ich meine Sonnenbrille, obwohl es schon spät ist, kurz vor Sunset. Heute aber, war es nicht nur ein normaler Sonnenuntergang, sondern ein lebendiges Gesamtkunstwerk, in das ich blickte.
Noch nie hatte ich diesen Weltenausschnitt so schön gesehen. Die untergehende Sonne tauchte die Landschaft, die Wiesen, die Häuser in ein mystisches Licht, so als hätten tausend katholische Päpste zusammengelegt, um alles in ein filigranes Blattgold zu tauchen. Ich hätte am liebsten angehalten, wusste aber, dass nur dieser Moment so unnachahmlich sein würde, das Passieren der Kurve, der Blick durch die Allee, die untergehende Sonne und die Landschaft mit Goldrand. Wer in einem solchen Moment nicht dankbar für sein Leben ist, für den gerade erlebten Flug und das damit verbundene Privileg sowieso, wer nicht sogleich schwört, vor lauter Dankbarkeit, so viel Schönes sehen zu dürfen – und sei es nur für ein paar Sekunden – der hat nie gelebt oder weiß nicht, was Leben bedeutet.
Und in der Tat sah ich an diesem Tag viel Neues. Schon nach dem Start drehte ich Richtung Schwarzwald, nahm es mit einer Wolkenstraße auf, die mich immer weiter über die grüne Hügellandschaft zog. Südlich am Feldberg leitete sie mich in ein bislang unbekanntes Gebiet. Ich konnte meine Aufregung kaum bändigen, so sehr war ich erfreut, dort hinfliegen zu können, wo ich noch nie gewesen bin. Ein wenige später sah ich den Rhein, das Kernkraftwerk bei Waldshut und erhielt eine Warnung, nicht in die TMA Zürich einzufliegen.
Weit konnte ich in die Schweiz blicken, sah den Züricher See, weit sah ich nach Frankreich. Überall hin zog es mich zugleich, aber Luftraumbeschränkungen und fehlendes Kartenmateriel verhinderten in beiden Fällen einen Einflug ins Nachbarland. Dafür querte ich den Flugplatz Hotzenwald, der wunderschön an einer Klippe liegt, sah die beiden großen Wasserspeicher im Südschwarzwald und dachte an meine liebe Kollegen Eduard Heindl, den Erfinder des Lageenergiespeichers.
Einmal verbastelt wurde es bei der hier vorfindbaren Bodenbeschaffenheit schnell ungemütlich. 500 Meter über Grund fühlen sich über dem Hotzenwald nicht wirklich prickelnd an. Doch immer wieder packte mich ein starker Aufwind. Nun wollte ich nach Norden, flog am Feldberg vorbei, kreiste mit einem Paraglider, machte schnell ein paar Fotos und peilte dann eine Wolke über Furtwangen an. Das war dann schnell auch die letzte, ich musste nun am Ostrand des Schwarzwaldes entlang fliegen, da der Hauptkamm keine Wolken mehr produzierte.
Obwohl ich diese Gegend nun mittlerweile kannte, machte es mir doch immer wieder Freude, der Schwarzwald ist einfach eine Augenweide. Trotzdem packte mich der Ehrgeiz und ich versuchte in die Alb einzusteigen, was dank der guten Thermik auch problemlos gelang, die Basis stieg noch an. Diese Strecke kannte ich von meiner Zeit mit dem Mini Nimbus, ich flog unter einer Wolkenstraße entlang und traf mehr Flieger, als mir lieb war, darunter einen Taurus und einen Bergfalken. Wie viele Jahrzehnte liegen zwischen diesen beiden Konzepte? Wie viele Sehnsüchte, erfüllte und enttäuschte? 1986 hatte ich auf Burg Feuerstein auf einem Bergfalken geschult, nach 10 Tagen und 37 Starts durfte ich zum ersten Mal in meinem Leben alleine ein Flugzeug fliegen. Eckdaten, die sich einbrennen, mehr noch als die Abi-Note. Und heute gibt es so wunderbare Flugzeuge wie den Taurus oder den Apis 2. Die Zeiten haben sich geändert, doch dort oben unter der Wolke trafen Vergangenheit und Zukunft aufeinander, umkreisten sich spielerisch und konfliktfrei und trennten  sich dann wieder, um ihre je eigenen Wege zurückzulegen. Gemeinsam unter einer Wolke zu kreisen, kann ein wenige Epistemologie am Himmel bedeuten.
Über Ulm wollte ich unbedingt noch eine Wolke testen. Wie immer in solchen Fällen, wo man unbedingt etwas will, erwies sich der Entschluss als falsch. Wer ungeduldig ist, macht Fehler. Ich hatte Mühe, nochmals Anschluss zu finden und dann die 110 Kilometer zurück gegen den Wind aus Westen zurück zu legen. Denn das ist das Einzige, was der Apis 2 nicht mag: Gegenwind. Ein paar Drachenflieger und andere Segelflieger markierten mir aber die Thermik in Richtung Donaueschingen. Noch einmal sah ich mir recht tief einen Steinbruch bei Rottweil an, nur um dann von einem tollen Aufwind aus der Senke gehoben zu werden, reif für den Endanflug, der dann durch eine Wolkenstraße direkt in Flugrichtung zu einem einzigen Spaß wurde. Nach sieben Stunden landete ich überglücklich, soviel ist sicher. Was an diesem Tag schöner war, der Flug oder die goldene Landschaft blieb hingegen unklar. 

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