18. April 2011

Zwei Erstflüge

Vielleicht nimmt die Fähigkeit zur Euphorie mit den Jahren einfach ein wenig ab und wir müssen uns damit zufrieden geben, uns stiller und gelassener zu freuen. Was aber nicht weniger wird, ist die Aufregung vor dem ersten Flug in einem neuen Flugzeug, einem Flugzeug, das man nicht kennt.
Am Sonntag fuhren wir mit dem Apis 2 im Hänger nach Mengen, einem ehemaligen Militärflugplatz mit einer riesenlangen Piste. Uli - der ganz wesentlich an der Entwicklung dieses wunderschönen Flugzeuges beteiligt war und sicher jede Schraube kennt - wartete schon. Nachdem wir den Apis 2 mühelos aufgebaut hatten, wurde es schnell ernst. Das Betriebshandbuch hatte ich natürlich schon am Abend vorher durchgearbeitet.
Ich erinnerte mich an diesem Abend an die Zeit in der Flugschule Feuerstein, die zwei Wochen, in denen ich die Grundzüge des Fliegens erlernte. Ich war 18 und ernährte mich zwei Wochen lang von Brötchen und kalten Bockwürsten weil ich kein Geld hatte jeden Abend in der Gastwirtschaft essen zu gehen. In der Nähe des Fluggeländes wohnte ich bei einer älteren Dame in einem Zimmer unter dem Dach. Jeden Abend setzte ich mich im Bett auf, nahm ein 30 cm-Lineal zwischen die Beine und verwandelte es gedanklich in einen Steuerknüppel. Lange bevor Streckensegelflieger sich Bücher über „Mentales Training“ kaufen konnten, stellte ich mir einfach vor, ich flöge. Und ich steuerte mit dem Lineal, flog Starts, Kurven und Landungen. Jeden Abend, auch in Ermangelung eines anderen Programms, probte ich so stundenlang im Kopf. Ich bin mir sicher, dass es mir halb, mir relativ schnell zurecht zu finden. Nach 10 Tagen und 37 Starts flog ich zum ersten Mal alleine.
So ähnlich ging ich auch diesmal vor. Im Kopf flog ich durch alle normalen und unnormalen Flugzustände. Aber nun saß ich nicht auf dem Bett und hatte ein Lineal zwischen den Beinen, ich saß in meinem neuen Flieger und stand am Start. Letzte Einweisungen und Tipps von Uli verstärken das Grundvertrauen, dass ich inzwischen in den Apis 2 hatte. Ich machte mich startbereit und meldete mich am Tower.
Langsam schob ich den Gashebel nach vorne und passte auf , dass die leichte Biene (Apis bedeutet „Biene“ auf lateinisch) nicht auf die Schnauze ging. Der rechte Flügel, der gerade noch am Boden rollte, hob sich, ich nahm Fahrt auf, gab nun Vollgas und beschleunigte auf der Piste, die eigentlich für Donnervögel gedacht war, nicht für Bienen.
Dann kam der Moment, von dem ich lange geträumt hatte und an den ich zwischenzeitlich gar nicht mehr glauben wollte. Mit der Kraft des kleinen eingebauten Motors hob ich ab und stieg zügig in den Himmel. Der Begriff „Eigenstarter“ nahm schlagartig eine andere, eine persönliche, Bedeutung für mich an. 25 Jahre Fliegerei rauschen durch meinen Kopf, lange Wochenenden an irgendwelchen Flugplätzen, Tage, an denen ich der Willkür der Startleiter und Fluglehrer ausgesetzt war, Stunden des Wartens, um dann einen Flug von drei Minuten Dauer an der Winde zu absolvieren, genug für heute, jetzt kommt ein anderer dran. Das ist nun vorbei, ohne dass ich es bereue! Alle diese Erfahrungen waren wichtig! Umwege erhöhen die Ortskenntnisse. Die Erfahrungen mussten gemacht werden, um schätzen zu können, was ich gerade erlebte: Im eigenen Flieger aus eigener Kraft zu starten. nicht alles sein.
Sehr hoch stieg ich nicht bei diesem ersten Start, denn ich hatte zuvor ausgemacht, gleich wieder zu landen und dann einen längeren Flug durchzuführen. Als ich den Motor einfahren wollte, gibt es irgendein Problem, die Anzeige signalisierte „Status Failure“. Zum Glück hatte ich das Betriebshandbuch mehrfach gelesen. Es war ärgerlich, aber ich hatte kein Problem damit, sondern schaltete (wie empfohlen) die Motorsteuerung aus und dann wieder ein. Danach ließ sich der Motor ohne erneute Probleme einfahren. Ein paar Kreise links und rechts, dann war ich davon überzeugt, dass der Apis 2 auf mich hört. Schnell war die Höhe verbraucht und ich meldete mich zur Landung. Parallel zu mir flog ein Motorflieger in der Motorflugplatzrunde. Aber ich nutzte die Segelflugplatzrunde. Dieses Flugzeug ist ein Zwitter: formal ein Ultraleichtflugzeug, technisch ein eigenstartfähiges Segelflugzeug. Ich war gespannt, zu welchen Verwirrungen dies in Zukunft führen würde. Es sollten einige sein.
Nach der Landung wurde ich von meiner Frau mit einem selbstgepflügten Wiesenblumenstrauß begrüßt. Sie hatte Tränen in den Augen - Freudentränen. So viel bedeutet es ihr, mich glücklich zu sehen. So viel bedeutet es mir, so geliebt, so verstanden zu werden. Es war nicht mein erster Alleinflug, so wie damals auf Burg Feuerstein, aber es war der Erstflug in eine neue fliegerische Epoche. Wir umarmten uns auf der Wiese und wurden uns des großen Glücks bewusst, dass denjenigen Menschen gegeben ist, die entscheidende Momente des Lebens teilen und sich nicht erst am Abend im Vorbeigehen davon berichten, was gewesen ist.
Leider war beim ersten Flug eine Feder am Schalldämpfer des Motors gebrochen - die Ersatzfeder lag zu Hause. Damit blieb es an diesem Tag bei einem Flug. Wir bauten ab und fuhren zurück nach Donaueschingen. Obwohl dieser Flug kurz gewesen war und ich allen Grund zum Ärgern gehabt hätte, war ich auch froh, diese intensiven Eindrücke erst einmal verarbeiten zu können.
Schon am nächsten Tag machte ich meinen zweiten Erstflug. Diesmal den ersten Start von Donaueschingen aus. Nun blieb ich gleich ein paar Stunden in der Luft und genoss die Thermik. So wie es sich gehörte.

16. April 2011

Übergabe und neue Heimat

Ich glaube es immer erst, wenn ich das Resultat in den Händen halte. Dieses Verhalten nervt meine Frau ein wenig. Sie kann mit Vorfreude sehr viel besser umgehen. Noch einen Tag gingen wir an den Ausstellerständen der AERO vorbei. Wir sahen viele interessante Neuerungen, vor allem den Trend hin zum Elektroflieger. Aber wir sahen nichts, was auch nur annähernd eine so gute Passung im „Hier und Jetzt“ hatte, wie mein zukünftiger Apis 2.

So gewannen wir ein Stückchen Sicherheit für eine sehr elementare Entscheidung. Der reine Segelflug, vor allem aber der „Vereinssegelflug“ sollte schon bald Geschichte sein. Vor mir stand die Aufgabe, ein neues Konzept zu entwickeln – und mit Leben zu füllen. Denn mir war sehr schnell klar: Wenn man den Apis 2 direkt mit den üblichen Segelflugzeugen vergleicht, dann kommt dabei nur eine defizitäre Sichtweise heraus. Wer vergleicht, verliert. Aber eine solche Grundhaltung wollte ich nicht einnehmen. Ich wollte mit dem Apis 2 meine bereits experimentell erprobte Biologger-Philosophie zum Leben erwecken.

Einen Tag nach der AERO holten wir den Flieger und das Zubehör ab. Nachdem der Kauf abgewickelt worden war, fuhren wir - diesmal mit einem Hänger am Auto - zu unserem neuen Heimatflugplatz Donaueschingen. Während der Rückfahrt wurde uns erst langsam klar, dass nun viel Neues auf uns zukommen würde. Ich konnte mich langsam freuen. Vor allem, als mich Uli anruft, und mir anbot, mit mir gemeinsam am nächsten Tag den Erstflug durchzuführen.

10. April 2011

Gemeinsame Entscheidung

Eine solche Entscheidung trifft man nicht alleine. Nun habe ich das große Glück mit der - wie Kishon es in seinen Büchern immer bezeichnete - "besten Ehefrau von allen" verheiratet zu sein. Meine Frau begleitet mich und meine Fliegerei schon zehn Jahre. Und inzwischen bin ich mir sicher, dass es niemanden auf der Welt gibt, der meine Sehnsucht besser versteht. Und das, obwohl sie selbst nicht fliegt. Aber sie macht auch die besten Steaks, obwohl sie selbst Vegetarierin ist.

Sie war es, die mich zum Kauf meines ersten Segelflugzeuges ermunterte. Damals ging es uns finanziell nicht wirklich gut, ich war eine Zeit arbeitslos. Und trotzdem unterstützte sie mich darin, eine alte „Elfe“ aus Holz zu kaufen. Ein wenig später kam dann ein „Club Astir“ und dann der wunderschöne „Mini Nimbus“, den ich nie verlauft hätte, wäre nicht die Segelflugschule auf dem Hornberg - meine zweite Heimat seit fünf Jahren - von einigen Gehirndienern geschlossen worden wäre. Letztlich bin ich ihnen aber sogar dankbar.

Die erste Entscheidung war also, den Mini Nimbus in gute Hände zu geben. Das ist hoffentlich gelungen. Und dann endlich, nachdem ich mir hier und da einige vergleichbare Produkte angesehen hatte, stand die nächste Entscheidung an. Wieder war es meine Frau, die mir Mut machte. Falsch entscheiden kann man sich immer, aber ohne etwas zu probieren wird man nie wissen, worüber man eigentlich redet. Es gibt viel zu viele „Prospektexperten“. Das sind Leute, die zwar alle Daten eines Flugzeuges auswendig kennen, selbst aber über keinerlei Erfahrungswissen verfügen. Sie reden darüber, können aber eigentlich nicht mitreden.

Wir wollten einen neuen (Lebens-)Abschnitt und wir entschieden uns konsequent. Beruflich verdichtete sich einiges zu neuen Aufgaben. Da sollte sich das Private anpassen. Mit einem Apis 2, so die Idee, würden wir einen kleinen, dafür aber entscheidenden Freiheitsgrad dazu gewinnen. Und dies lag voll im Trend unseres bisherigen Lebens, da wir immer, Stück für Stück, ein wenig mehr Freiheit und Autonomie gewonnen hatten.

4. April 2011

Sinneswandel

Doch woher kommt dieser Sinneswandel? Ohne Erklärung ist die von mir hier postulierte Philosophie sicher nicht verständlich.

Ich fliege seit mehr als 20 Jahren, nicht nur Segelflugzeuge, aber meist. Die Art der Segelfliegerei, die ich in den letzten Jahren auf Deutschlands Flugplätzen kennen gelernt habe, gefällt mir nicht mehr. Diese Wahrheit ist kurz, der Rest ist Kommentar. Diese Art der Segelfliegerei hat mit meinen Jugendträumen nicht mehr viel gemeinsam. Was an vielen Orten zu beobachten ist, lässt ich in wenigen Worten sagen: Oberflächlichkeit, Dekadenz und ideologischer Fundamentalismus. Zu diesen Phänomenen möchte ich etwas sagen (und habe dazu in den vorhergehenden Blogeinträgen immer wieder etwas gesagt).

Die Dekadenz ist eine Begleiterscheinung der Übersättigung. Nicht mehr die Einlösung einer einst gefühlten Sehnsucht steht im Mittelpunkt, sondern die Erfüllung einer Verpflichtung sich selbst oder anderen gegenüber. Dieser Grundbefund erhält seine prominenteste Konkretisierung in dem seit Jahren beliebten oberflächlichen OLC-Wahn. Zugegeben: Die Idee des OLC ist so charmant wie einfach. Aber wie so viele andere charmante und einfache Ideen gibt es auch eine zweite Seite der (glänzenden) Medaille. Der OLC brachte mich - und sicher auch viele andere bis dato fliegerisch dahin dümpelnde Segelflieger - erst richtig in Schwung. Das idiotische Gerede vom "Streckenflug-Gen" möchte ich hier nicht wiederholen - ist es doch absurd, bei einer so künstlichen Angelegenheit, wie dem Segelfliegen (bei näherem Hinsehen sogar noch künstlicher als das Motorfliegen) mit biologistischen Metaphern zu hantieren (es sagt allerdings viel über die instrumentelle Rationalität derer aus, die immer wieder solchen Unsinn verbreiten). Zugeben: Durch den OLC wurde eine Art schlummernder Ehrgeiz "geweckt" (sicher kein genetisch bedingter). Der Idee des dezentralen Wettbewerbs ist es zu verdanken, dass Vorstände von Segelflugvereinen erstmals Kunststoffflugzeuge an junge Segelflieger zur Nutzung frei gegeben haben, für die man in Prä-OLC-Zeiten noch 40 Jahre lang die Pokale im Vereinsheim hätten polieren müssen. Nur um die Erlaubnis zu erhalten, die Flugzeuge anzufassen. Der OLC hat eine latente Begeisterung manifestiert. Gegenwärtig kann man dies in objektiven Zahlen und immer neuen Superlativen erfahren. Auch ich begann, zunächst unter Anleitung bereits OLC-erfahrener (heute würde ich sagen: OLC-süchtiger) meine ersten ausgedehnten Streckenflug mit einem Duo Discus, mit einer LS 4 usf. Aber in der (scheinbaren) Objektivierung der Leistungen in der Form von Punkten und Rankings besteht genau das Problem der Dekadenz (wem diese, an der sog. Kritischen Frankfurter Schule – Adorno und Horkheimer – geschulte, dialektische Sichtweise zu dumm ist, kann jetzt aufhören zu lesen).

Denn der OLC hat nicht nur Gutes bewirkt. Er hat unsere Wahrnehmungs-, Erfahrungs- und Gefühlswelt komplett verändert und überformt. Viele der Segelflieger mag dies gar nicht stören. Es wird viele geben, denen das noch nicht einmal auffällt. Andere werden es sogar begrüßen (diejenigen, die damit Geld verdienen, indem sie Produkte, Schulungen etc. anbieten). Wie bereits an anderer Stelle in diesem Blog gezeigt, korreliert die Neigung, sich dem Segelfliegen hinzugeben, nicht unbedingt mit ausgeprägtem ästhetischem Empfinden, sondern eher mit meist eindimensionalen, oberflächlichen und technisch-instrumentellen Rationalitäten. Wer die OLC-Regeln verinnerlicht hat und meist oder gar ausschließlich um praktische Anwendung dieser Regeln bemüht ist, der verliert einiges, ohne dass es ihm bewusst ist oder bewusst gemacht wird.

Ich persönlich habe diese Verlust von dem Moment an empfunden, als mir die verhaltensändernde Durchschlagskraft (Soziologen würden sagen: die Normativität) der OLC-Regeln bewusst wurde. Eigentlich ist es traurig: Vom ersten Flug an war mir klar, dass ich hier etwas grundlegend verändert, aber selbst brauchte ich erst einige Jahre und ein paar äußere Anlässe, bis ich mich von der Inanspruchnahme dieser Regeln befreien konnte.

Die Regeln bewirken, dass ganze Horden von Segelfliegern wie ferngesteuert durch eine Landschaft fliegen, die sich als solche gar nicht mehr wahrnehmen können. Sie bietet lediglich die Kulisse für strategische Entscheidungen und Streckenoptimierungen - am besten per Computer schon während des Fluges. Die Kulisse für das Spektakel. Es verwundert kaum, dass der OLV diese Blüte im Zeitalter der Computerspiele erlebt, gibt es doch eine grundlegende strukturelle Übereinstimmung (im Soziologendeutsch; eine Homologie) zwischen engagierter OLC-Fliegerei und dem Fliegen als Computerspiels. Beide Male ist es der datensetzende Algorithmus, der die Macht hat, nicht der Mensch. Dieser funktioniert nur als erweitertes, dezentrales, Anhängsel eines Regelkanons, der überindividuell zur Anwendung gebracht wird. Oder wie es der Soziologe Heinrich Popitz, der sich viel mit den unterschiedlichen Formen der Macht beschäftigte, auf den Punkt brachte: „Der dauernd Erniedrigte rechtfertigt seine Fügsamkeit, indem der sie in Freiwilligkeit uminterpretiert.“ Fügsam sind wir den Regeln gegenüber, die wir alle ach so gerne anwenden, weil ja alle dabei sein wollen beim großen Rechnen, das zeigt, wer der Schnellste ist im Land.

Richtig "schlimm" wird es aus meiner Sicht, weil sich dadurch nicht nur das individuelle Handeln verändert (Flugentscheidungen, Flugwege etc.), sondern auch das kollektive. Die Regeln habe eine normative Kraft entfaltet, die teilweise schon als destruktiv bezeichnet werden muss. So berichtete mir unlängst ein Segelflieger, der einen neuen Club suchte, dass er nicht aufgenommen wurde, weil er nicht „OLC-affin“ genug war. Mir selbst wurde dies ebenfalls zu „Verhängnis“: Ein Club lehnte mich ab, weil ich mich weigerte, all-abendlich meine geloggten Dateien ins OLC-Netz zu stellen. Hier wird also bereits eine Form der Selektion betrieben, bei der es mich schaudert.

Der OLC führte also bei seiner Einführung zu positiven Effekten (Mobilisierung), lässt inzwischen aber nicht-intendierte aber dennoch wenig produktive Effekte erkennen. Wer fliegt, nur um Punkte zu sammeln, verliert Erlebnisdimensionen, die sich nicht mehr zurückgewinnen lassen. Wer nur Mitglieder in seinen Verein aufnimmt, die sich OLC-konform verhalten, verliert die Diversität, die lange Zeit „gute“ Vereine ausmachte. Wer Punkte sammelt, verliert Gefühle. (Grüne) Punkte sammeln ist eine Aktivität für die Mülltonne, aber nicht für das Erleben am Himmel.

In den letzten Jahren habe ich immer wieder Piloten getroffen, die mir berichteten, dass sie nichts mehr fühlen. Sie fliegen einfach ihre Strecken ab. Mit immer besseren Flugzeugen, immer schneller. Ihre Leistung ist dabei mitnichten ein Verdienst des eigenen Talents. Diese Begegnungen haben mich traurig gestimmt. Sie erinnerten mich an den Millionär, der auf jedem Kontinent ein Segelflugzeug stationiert hatte und immer dort hin (privat-)jetete, wo er die besten Wetterbedingungen vermutete. Letztlich hat sich dies als eine Flucht vor sich selbst erwiesen. Die Intensität eines Erlebnisses hängt beim Fliegen und bei jeder anderen Sportart, nicht davon ab, ob und wie viele Punkte man am Ende des Tages durch ein Rechenprogramm zugewiesen bekomme. Dennoch machen sich viele der Segelflieger zu Marionetten dieses Algorithmus'. Sie verwechseln zwei Ebenen: die eigene Ebene ist die des Leistungsträgers (das ist das Flugzeug), die andere Ebene, ist die des Leistungserbringers (das ist der Pilot). Da viele merken, dass sie die Leistung nicht erbringen können, die im kompetetiv angelegten OLC-Kosmos zumindest prinzipiell von ihnen abverlangt wird (denn wozu sammelt man sonst Punkte, wenn man diese dann nicht vergleicht?), suchen sie nach einer anderen Strategie. Und sie finden sie dort, wo sie den Leistungsträger modifizieren. Oder anders: Eine ganze Branche lebt davon, durchschnittlichen der mittelmäßigen Piloten zu suggerieren, sie könnten sich besser plazieren, wenn sie ein besseres Flugzeug kauften (dazu: Mückenputzer, teure Elektronik etc.). Wir haben wir nebenbei eine kleine Theorie des Konsums und der Fortschrittslogik für die Segelfliegerei entwickelt.

Natürlich kann man immer komplexeres oder teureres Material kaufen, wenn man es sonst nicht schafft, seinen Traum vom 500, 700 oder 1.000 Kilometer-Flug zu realisieren. Ich verstehe das. Aber verstehen heißt nicht, einverstanden zu sein. Ich wollte dieser Dekadenz und der damit verbundenen Dehumanisierung entkommen. Ich wollte - und damit bin ich beim zweiten Begriff - dem vorherrschenden ideologischen Fundamentalismus entkommen.

Vereine sind kleine Fürstentümer, die letzten Refugien mittelalterlicher Privilegienwirtschaft. Ein Restbestand des Feudalen. Es gibt Herren und es gibt Knechte. Ich weiß, es gibt Ausnahmen! Ich kenne einige. Aber reden wird für einen Moment über den Durchschnitt: Alte Männer bestimmen, Besitzstandswahrung wohin man blickt, völlig weltfremde Anwesenheits-, Mitmach-, oder Sonstwas-Pflichtprogramme. Pharisäerhafte Doppelmoral (so erklärte mit der Vorstand eines Vereins, dass ich diesem nicht beitreten können, weil ich zu diesem Zeitpunkt schon einen eigenen Segelflieger hatte. Er vergaß nur zu erwähnen, dass er selbst sogar zwei eigene Flieger besaß – Vorstände dürfen das). Dieser ideologische Fundamentalismus ist oft auch noch mit paramilitärischem Gehabe und Wichtigtuerei verbunden. In der Summe kann man schon manchmal (nicht immer) den Eindruck erhalten, dass hier einige Personen ein ziemliches Bedürfnis nach Kompensation ausleben müssen. Ich hätte gerne repräsentative Daten zu den Berufen der Segelflieger. Mich würde interessieren, ob diese in ihrem Sonst- oder Restleben nicht genügend Anerkennung (beruflich oder privat) erhalten und sie deshalb auf dem Flugplatz so dick auftragen müssen. Ich würde gerne verstehen, warum sich freiwillig so viele erwachsene und vernunftbegabte Menschen als Hüter des heiligen Grals gebärden und einem kindischen Punktespiel anhängen.

Im Großen und Ganzen ödete es mich immer mehr an. Und deshalb suchte ich nach einer anderen Einstellung. Wie immer findet man diese, wenn man zurück an den Anfang geht, sich fragt, was einen selbst und ursprünglich an der Fliegerei fasziniert hat. Wenn man bewusst innehält und sich fragt, was eigentlich das Wesentliche und Schöne am Segelfliegen ist.

Umwege erhöhen die Ortskenntnisse. Und erst über viele Umwege kam ich zu meiner heutigen Einstellung. Nicht die OLC-Logger-Daten spielen eine Rolle, sondern, dass, was man Biologger (mein Gehirn) mit den Eindrücken macht. Am Ende unseres Lebens, soviel ist gewiss, werden uns die Daten auf dem OLC-Server nicht glücklich machen, sondern einzig und allein die hochkomplexe Gabe des Menschen, sich selbst und sein Leben (ganzheitlich) zu erinnern. Dies ist der praktische Kern der Biologger-Philosophie.

Damit ich nicht falsch verstanden werde: Ich spreche niemandem das Streben nach Perfektion und großen Leistungen ab. Beides bewundere ich sehr. In meiner Durchschnittlichkeit werde ich vieles nicht erreichen, was andere mühelos schaffen. Der Punkt aber ist der, ich will es auch nicht erreichen. Ich beweise mich auf anderen Gebieten, ich suche keine Ersatzbefriedigung. Ich will in Ruhe gelassen werden.

1. April 2011

Biologger - Die Philosophie

Ein Flieger wie der ultraleichte Apis 2 braucht eine eigene Philosophie. Diese Art der Fliegerei ist nicht dem eindimensionalen und oberflächlichen Anspruch des "Schneller höher, weiter" verpflichtet. Schon seit langem arbeite ich an dieser eigenen Philosophie. Aber ich war 2009 und 2010 noch viel zu sehr in meinen alten Bezügen verhaftet. Flog auf dem Hornberg mit meinem wunderschönen Mini Nimbus, den ich in einem schönen Film verewigt habe.

Erst mein neuer Flieger, ein Apis 2, verhalf mir dazu, die innerlich schon gereifte Idee in die Tat umzusetzen. Teilweise zumindest. Mit dem Apis 2 wurde die Philosophie des ultraleichten Segelfliegens geboren. Eine Philosophie, auf die ich und sicher auch viele andere lange und sehnsüchtig gewartet haben.

Es handelt sich dabei um eine klassische Befreiungsphilosophie. Sie macht sich frei von den bisherigen Dogmen, Betrachtungsweisen und Handlungsvorgaben. Es ist eine Philosophie, die das sehnsuchtsvolle Streben in den Mittelpunkt stellt, das Streben nach Geschichten, Bildern und schönen Erlebnissen. Nicht das Streben nach Punkten, Listenplätzen und der Quantifizierung des Fliegens. Es geht um innere Bilder, Ästhetik, Genuss, Erkenntnis. Darum, im entscheidenden Augenblick wach zu sein für das Erlebte. Und um den Versuch, dieses Erlebte in seinen Tiefen und Facetten zu versprachlichen – so wie ich es schon anhand einiger Flüge mit meiner „4H“ versucht habe.

Es geht um das Erleben statt um das Spektakel. Es geht nicht um diese (OLC-)Punkte, die per Algorithmus am Abend zugewiesen werden. Punkte, die das Erlebte verflachen, in dem man sich mit anderen tabellarische vergleicht. Wie traurig sind dich die Listen, die jeden Tag veröffentlicht werden und die so rein gar nichts von dem Zauber des Fliegens wiedergeben.

Es geht um autonomes Leben statt einer kopierten Existenz. Es ist schwer, sich von den Normen, denen man selbst über 20 Jahre unterlag, mehr noch, denen man sich unterworfen hatte, frei zu machen. Vor dem „Man“-Gespenst zu fliehen, das jedem von uns diktatorisch sagt, was „man“ alles als Segelflieger tun soll, was falsch ist und was richtig ist (immer das, was alle schon immer getan haben).

Diese Philosophie basiert, in einem Wort, auf einem Kontrast zum etablierten Segelflug und bricht mit den dort üblichen Vorstellungen: Die Ziele werden den Mitteln angepasst und nicht die Mittel den (immer weiter gesteigerten) Zielen. Es geht aber noch um mehr: Um die Rückeroberung der Sehnsucht und die Wiederverzauberung des Fliegens als eine Form des passiven Widerstands gegen die Kommerzialisierung der Träume und die Entfremdung durch stumpfen Leistungsvergleich.

Diese Philosophie wird sicher nur von wenigen geteilt werden. Sie wird von vielen (Etablierten) sogar belächelt werden. Aber auch das gehört dazu. Die emotionale Versteinerung derer, die sich in der Masse und dem dazugehörigen Konformismus verstecken können, sollte nicht davor täuschen, dass es immer Sinn macht, über Alternativen nachzudenken.