23. Juni 2014

Wunderhangar

Das sollte der letzte Flug vor meinem Japan-Aufenthalt sein. Dort, im Land der aufgehenden Sonne, warteten spannende Dinge auf mich. Zwei Vorträge auf dem Weltkongress Soziologie, ein Treffen bei der United Nations University. Anschluss zu Welt – was man von Furtwangen nicht immer behaupten kann. Ich beschließe, das Fliegen heute vor Arbeiten geht, obwohl ich – wie immer – noch so viel zu tun habe. Jetzt, aus einem Abstand von ein paar Wochen, weiß ich, dass diese Entscheidung richtig ist, dass sie immer richtig ist. Die wenigen Flugmomente, die uns gegönnt sind, sollte man sich nicht auch noch durch asketischen Fleiß vollends minimieren. Entweder man ist konsequent oder man lebt. Und Segelfliegen gehört eindeutig in die Kategorie „Leben“.
Doch beinahe ärgere ich mich. Als ich am Flugplatz ankomme: keine Wolken. Nach dem Aufbauen: keine Wolken. Also packe ich den Laptop aus und redigiere einen Artikel. Wie war das mit dem „Fliegen vor Arbeiten“? Aber vielleicht war der Artikel mein Opfer für die Götter. Die ersten Quellungen über der Alb zeigen sich zaghaft, ich packe den Laptop weg und bereite mich auf den Start vor.
Und dann staune ich nur noch: prima, prima, prima! Es geht gewaltig nach oben. Und es geht auch gewaltig nach unten. Das habe ich über Deutschland noch nie erlebt: 5,6 Meter „Saufen“! Zum Glück schickt mir das Kloster Beuron, in dem ich mich den ganzen September über aufhalten werde, einen Gruß aus dem Donautal in Form eines perfekten Auswindes.
Ich fliege eine wenig zu euphorisch herum und entdecke zu spät die schwarze Wand hinter mir. Die lässt nur eine Frage zu: wie komme ich zurück? Es ist mein letzter Flug vor Japan, also beschließe ich, es auszunutzen, auch wenn ich nicht zurückkomme. Ich steige wunderbar unter dunklen Wolkenfetzen, aber es dichter, dunkel, daseinsfeindlicher. Es gibt keinen Weg mehr zurück nach Donaueschingen, ich bin aus der Komfortzone herausgefallen. Die Ansage vom Tower in Donaueschingen ist eindeutig.
Ich beschließe noch ein wenig herum zu fliegen und dann in Mengen zu landen. Das passiert dann doch schneller als gedacht.
Sogleich beginnt meine Suche nach einem Unterstellplatz, denn die breite Gewitterfront zieht doch verdächtig schnell in meine Richtung. Ich sehe, dass der Wunderhangar offen ist. So nenne ich den großen neuen Hangar, der voll mit den edelsten Oldtimern ist. Echte Fliegersolidarität schlägt mir auf die beste Art entgegen. Ich darf meinen Apis 2 unterstellen, ich erhalte sogar die Schlüssel für dieses Wunderreich. Diese Solidarität kann ich hoffentlich einmal zurückgeben. Ich denke an eine ähnliche Situation in Donaueschingen zurück: da gingen die eigenen Vereins“kameraden"“ einfach ein mir vorbei nach Hause, als ich mal ein ähnliches Problem hatte – ohne meine Frau, die zur Hilfe eilte, hätte ich es nie geschafft

Spät am Abend kommt dann Patrick, der Sohn meines Vermieters zusammen mit seiner Freundin und mit Marion und wir bauen den Apis 2 ab und lassen den Wunderhangar zurück. Patrick war vier Tage auch dem Festival, dass ich aus der Luft gesehen hatte. So schließt sich auch dieser Kreis. Und ich kann ans andere Ende der Welt fliegen.

22. Juni 2014

Logenplatz

Sobald ein Flug nicht gleich in einen Text umgewandelt wird, geht die Essenz des Erlebten verloren. Wie kann man dann nur daran glauben, dass ein paar geloggte Zahlen, diese Essenz wieder herstellen könnten?
Also versuche ich mich anhand meiner wenigen Notizen (immerhin!) an die beiden letzten Flüge im Zusammenhang zu erinnern. Nach der notwendigen Landung „mit Weihnachtsbaum“ ist der Schaden schnell behoben und natürlich will ich an diesem Tag noch fliegen! Ein zweiter Versuch, denn das Wetter ist noch ausgezeichnet. Die Schwäbische Alb lockt mit dicken Blumenkohl-Wolken im Angebot.
Ich düse in Richtung Osten und bin ein wenig irritiert, als ich dort, wo sich eigentlich der Flugplatz Neuhausen ob Eck befinden sollte, ein Meer aus Zelten sehe. Tausende von Menschen laufen auf der Start- und Landebahn herum. Was  ist hier los? Da unten sind 40.000 Punkte, alles Menschen, die sich auf diesem Raum wohl freiwillige zusammengepfercht haben. Dann erinnere ich mich an ein Gespräch mit Kollegen, die mir etwas von einem Open-Air-Festival erzählt haben. Sie würden aber nicht mehr hingehen, da sie die heutigen Bands nicht mehr kennen. Man wird halt älter.

Ich pendle den Rest dieses Tages, einem Geschenk, zwischen Alb und Bodensee hin- und her, da ich mich für mehr nicht mehr aufraffen kann. Und kröne diesen zweiten Versuch mit einer wunderschönen Landung, die mich wirklich zufrieden macht.

19. Juni 2014

Lernkurve

Es ist gut, immer wieder daran erinnert zu werden, das Fliegen gefährlich ist. In der Luft ist nichts garantiert. Die Lässigen sind oft die Fahrlässigen und zu denen wollte ich nie gehören. Aber der Grad ist schmal, sehr schmal.
Heute flog ich wieder mal in Donaueschingen, ein Platz, der den Charme eines Sperrholzbrettes hat, aber eben (fast) vor der Haustür liegt. Wie schön und ruhig war es doch auf dem Feuerstein. Wie nett die Menschen.
Ich baue meinen Apis 2 auf, alles klappt super und ich starte problemlos. Trotz einer recht langen Motorlaufzeit schaffe ich es nicht, Anschluss an die Thermik zu bekommen. Sehr schnell geht es dann wieder nach unten. Also gut, denke ich, starte ich eben den Motor noch mal. Die Klappen öffnen, aber es kommt kein Motor heraus. Hat ihn mir jemand geklaut? Ich bin inzwischen tief, suche schnell ein Außenlandefeld, gleichzeitig fliege ich in Richtung Flugplatz - zum Glück planmäßig mit Rückenwind  Drei Möglichkeiten gibt es nun: der Motor startet, ich schaffe es im Gleitflug noch bis zum Flugplatz und lande aus „ungewohnter Position“ oder ich nehme den Acker. Inzwischen bin ich so tief, dass diese drei Möglichkeiten zeitlich sehr eng beieinander liegen. Noch einmal versuche ich den Motor zu locken, dann bin ich bereit für den Acker. Oh Wunder, ich sehe einen Propeller, der sich hinter mir aufrichtet. Ich starte den Motor, steige, atme durch und denke, dass ich es nun geschafft habe. Doch für heute beginnen die Probleme erst.
Oben angekommen, dreht der Propeller immer weiter, der Motor lässt sich so nicht einfahren. Situationsanalyse: Ich bin oben, nicht unten, der Motor ist draußen und will nicht rein, vorher war der drinnen und wollte nicht raus. Ich steige selbst mit dem Weihnachtsbaum hinter mir mit 2 bis 3 Metern pro Sekunde. Prima! Mein erster Gedanke: Dann fliege ich heute halt Thermik mit Weihnachtsbaum. Mein zweiter Gedanke: Aber es wird nicht überall Bombenthermik geben. Also was mache ich? Einfahren? Geht nicht – die Elektronik produziert immer wieder eine Fehlermeldung. Nach unzähigen Resets ist die Batterie dann auch fast leer. Also landen! Mit Weihnachtsschmuck draußen.
Ich melde mich, aber der Turm hört mich nicht. Auf der Piste steht ein Schleppzug, die Graspiste traue ich mich wegen des Vereinsterrors nicht zu nutzen, also lande ich auf dem Sicherheitsstreifen dazwischen sehr sanft im hohen Gras.
Dann suche ich erst mal den Fehler. Die Klappenhalterung hatte sich gelöst, so dass die rechte Klappe (in Flugrichtung) nicht vollständig zu öffnen war. Dadurch bekamen die Endschalter, die den Einfahrvorgang steuern, ein falsches (bzw. richtiges) Signal und der Motor fuhr eben nicht ein. Ohne Klappen in Endstellung greift der Propellerstopper nicht, das erklärt, warum der Propeller immer weiter im Kreis drehte.
Das Ganze ist in drei Minuten repariert. Länger dauert es, den leeren Akku mit dem Schnellladegerät zu betanken. Gegen 15 Uhr starte ich noch einmal, denn nun will ich es wissen. Diesmal klappt alles so, wie es sein soll. Ich fliege kreuz und quer über den Schwarzwald, auch mal über meine Wohnstadt Furtwangen, genieße noch schöne Ausblicke und Stimmungen. Nur der Wind ist in der Höhe für meinen leichten Apis 2 unangenehm stark. 40 bis 50 Kilometer pro Stunde schieben oder drücken gewaltig, je nach Richtung. Die Thermik ist unrund, irgendwie ist das kein gutes Apis 2-Wetter. So fliege ich eben so gut ich es kann und nehme es als Trainingstag mit Lerneinlagen.

Trotz der technischen Probleme gelingt mir so noch ein schöner vierstündiger Flug, ich bin satt und kann mich wieder auf andere Dinge konzentrieren – zumindest, solange die Sehnsucht nicht wieder Überhand nimmt.

15. Juni 2014

Drohkulisse

Einen Tag Flugpause nutzten wir, um das reizende Städtchen Bamberg zu erkunden, inklusive Flussfahrt (für nur 5 Euro, dafür ein wenig kurz). Sehnsüchtig schaue ich einigen Fliegern nach, die am späten Nachmittag doch noch auftauchen. Es sind wohl „Wettbewerbsflieger“, denn alle kreise in einem Bart und als einer davon fliegt, dackeln alle anderen hinterher. Nur einen entdecke ich später, der sein eigenes Ding macht, aber vielleicht gehörte der auch nicht zur „Truppe“.
An unserem letzten Tag am Feuerstein sieht es zunächst wenig nach Fliegen aus. Der Himmel ist bedeckt, der Wind kräftig. Dennoch starte ich gegen Mittag und kämpfe mich in Bodennähe gegen den Wind voran. Der Apis 2 überrascht mich mal wieder mit neuen Qualitäten. Man sollte ihm einfach mehr zutrauen. Mehr als 1500 Meter NN sind einfach nicht drin und das gegen den Wind. Unkomfortabel.
Erst über Kulmbach wird es besser. Die Basis steigt etwas und damit meine Laune. Nach und nach gelange ich in die Komfortzone über dem Thüringer Wald. Es geht voran, immer nach Norden, immer höher, die Meute der Wettbewerbsflieger kommt mir entgegen und fliegt mich mal wieder beinahe über den Haufen. Ich zeige allen den Stinkefinger und hoffe, sie haben ihn gesehen!
Jetzt zieht im Norden eine Drohkulisse auf. Es wird immer dunkler, der Himmel zieht sich zu, wie ein Badevorhang. Noch ein, zwei Wolken taste ich mich mutig voran, schließlich habe ich keine Gleitzahl 50, dann spukt mich der Thüringer Wald aus. Im „Flachland“ reißt es mich auf 2500 Meter, heute weiß ich die Bärte wirklich nicht richtig einzuschätzen.
Immer weiter geht es, jetzt unter grandiosen Wolkenstraßen, kreuz und quer über den Wald, seine Skiabfahren, seine Masten, seine Stauseen. Alles schaue ich mir genau an, das ist das Privileg des achtsamen Segelfliegers, der nicht nur Punkte sondern Eindrücke sammelt.
Noch am späten Nachmittag reißt der Himmel auf, ein Wunderwerk für den, der sich nicht innerlich darauf vorbereitet hatte. Bauschige Wolken entstehen um mich herum, manchmal steige ich unter einer Wolke so hoch, dass ich mich 200 Meter über der Basis einer anderen Wolke befinde. Treppenstufen am Himmel, ein wunderbares Phänomen.
Trotzdem verliere ich irgendwann den Anschluss, sinke, suche, sinniere und dann rettet mich letztlich der Steinbruch bei Bayreuth mit dem die Woche fliegerisch begann. Erst zaghaft, dann zentriert, letztlich reißt es mich geradezu nach oben, es ist unbequem, aber es hilft, dort anzukommen, wo ich hinwill: im Himmel der Segelflieger, hoch oben unter einer dicken, schwarzen Wolke.
Spät noch statte ich dem Rosenthal Field einen Besuch in luftiger Höhe ab. Hier begann wirklich alles. Hier flog Manfred Streußenreuther, mein Idol, mein Mentor, ein Modell seiner Zlin Z 50 hängt (kopfüber) in der Fliegerkneipe am Feuerstein. Ich bin äußerst gerührt, mir kommen die Tränen, wenn ich an diese Zeit denke. Damals wartete ich vier Jahre auf den ersten Flug, heute fliege ich einfach hoch über den Flugplatz hinweg. Das lässt sich kaum in Worten beschreiben.

Irgendwann geht auch dieser Flugtag zu Ende. Noch probe ich ein wenig das Fliegen gegen den Wind, dann denke ich trotz der immer noch kräftigen Thermik an die Rückfahrt in den Schwarzwald und lande bei böigem Wind, aber glücklich, über eine tolle Zeit am Feuerstein.

13. Juni 2014

Luftmobile

Es sollte alles noch besser kommen, das Warten sollte sich lohnen, aber wenn ich etwas nicht kann, dann Warten. Die Tage vertreibe ich mir mit Flugübungen in Platznähe. Doch dann wird das Wetter besser als erwartet. Ich teste mich wieder an Bayreuth heran und treffe dort die ersten Luftmobile an, ganz Pulks teurer Segelflieger, die alle um einen imaginären Kern herumkreisen, immer einer über und neben dem anderen. Es sieht lustig aus, aber ich frage nach der Sinnhaftigkeit des Ganzen. In Bayreuth findet irgendein Wettbewerb statt. Über viele Kilometer werden Segelfluganhänger an einen Flugplatz gezogen, nur um daran teilzunehmen. Mit der ökologischen Idee des Segelfliegens hat das wenig zu tun. Einer nach dem anderen startet, dann spielen alle dieses Luftmobile-Spiel. Irgendeiner traut sich davon zu fliegen, die anderen hinterher. Am Abend gibt es einen Sieger, aber Sieger in oder für was?
Das ist sicher nicht meine Welt. Mit meinem Apis 2 umspiele ich den Hausberg von Bayreuth und ziehe trotz schlechterer Leistung davon, wenn die Rennflieger kommen, weil sie meinen, dass ich ihnen die Hebebühne markiere. Wie armselig. Selbst mit ihren Superschiffen sind sie nicht in der Lage, sich selbst einen Aufwind zu suchen.
Ich genieße die Aussicht und das Wetter, das immer besser wird. Den Wind, der anfangs nervt, plane ich als Rückenwind für den Nachhauseflug ein. Dort lande ich nach fünf erfüllten Stunden in der Luft
Der nächste Tag bringt im Prinzip das gleiche Geschehen, nur qualitativ besser. Ein schöner Start auf der Piste 08 trotz zunehmenden Seitenwindes. Dann gönne ich mir ein paar Kilometer Motorlaufzeit gegen den Wind, weil ich wenig Lust habe, mich zwei Stunden nur in Platznähe abzukämpfen. Der Wind ist noch kräftiger als am Tag zuvor. Aber ich schaffe es bis an den Bergrücken, dort hängen vor mir bereits wieder die bekannten Luftmobile. Ich finde das alles noch lächerlicher als gestern, aber vielleicht brauchen manche einfach diesen Vergleich und jemanden, der ihnen sagt, wohin sie fliegen sollen.
Heute taste ich mich deutlich weiter voran, immer den Thüringer Wald entlang, den ich nur von einem einzigen Ausflug mit meinem Mini Nimbus vom Hornberg aus kenne. Zunächst fliege ich eher außerhalb der Berge den Thüringer Wald entlang, dann taste ich mich vor und fliege direkt über dem Kamm. Wie schön das ist, neue Landschaft unter den Flügeln zu sehen. Allein die Blicke tragen mich immer weiter.
So geht es eine Zeit, bis es im Norden merklich dunkler wird, weil die Wolken zusammenlaufen. Also hinaus ins Flachland und was gibt es da als Ziel? Genau, die Wasserkuppe, Kultberg aller Segelflieger. Die ist erstaunlich nah und das macht Lust auf Entdeckungen. Es ist wegen des Windes nicht immer einfach an diesem Tag, aber eines fetzt dann schon: der Rückwind aus Nordwesten, angeschoben von 30-40 Kilometern Rückenwind pro Stunde. Schade nur, dass ich nicht mehr weiter bis nach Hause habe. Aber ich fliege eben nicht „streckenoptimiert“.

Nach rund sieben Stunden lande ich bei kratzbürstigem Seitenwind auf der 26 und rolle ab. Kurz zuvor war Marion in der ASK 21 mit Fluglehrer gestartet. Nach fast zehn Jahren saß sie wieder in einem Segelflugzeug. Das war sicher die größte Leistung dieses Tages.