Nach 7,5 Stunden lande ich glücklich in Donaueschingen. Es
war der längste Flug mit meinem Apis2 und der zweitlängste überhaupt in fast 30
Jahren Fliegerei. Für einen reinen Thermiktag ist das nicht schlecht. Langsam
werde ich warm mit dem Flieger. Als ich nach Hause komme, ist es schon fast
dunkel. In gut einer Stunde habe ich den Apis2 alleine abgerüstet, schneller
als neben an die Mannschaft, die zu dritt oder viert einen Discus abrüstete.
Was für ein Flug!
Nach dem Start kreise ich mit laufendem Motor im Steigen und
bin ziemlich schnell in Abschalthöhe. Motor rein, dort bleibt er dann auch für
die nächsten 7,5 Stunden. Noch immer bin ich komplett als Segelflieger
sozialisiert. Tage, an denen ich unterwegs Motorhilfe brauche, um einen
Außenlandung zu vermeiden, sind mir verhasst. Aber das wird auch immer
seltener. Vielleicht komme ich einfach besser klar mit meinem Flieger?
Ich entscheide mich für den Schwarzwald, obwohl auch auf der
Alb schon schöne Wolken stehen. Aber die Optik ist einfach besser, mehr für’s
Auge. Und das ist schließlich der Grund, warum ich UL-Segelfliegen betreibe. Es
geht erstaunlich gut, dafür, dass ich noch vor ein Minuten zögerte, ob ich
starten oder doch lieber noch warten soll. Auf ins Getümmel. So fühlt es sich
wirklich an. Als wäre eine Schlacht im Gange, eine Wolkenschlacht über der
Südschwarzwald. Es blubbert und hebt sich aus allen Tälern, die Hexenküche
kocht, dunkle Wolkenfetzen hängen herab, ich schlängle mich hindurch, Ziel
Feldberg. Den erreiche ich mühelos, dahinter, die wilde Landschaft um den
Belchen, die großen, tiefen Furchen, das Licht, alles wunderschön, doch ich
kehre um, noch ist die Basis nicht so berauschend und ich sitze nicht in einem
20-Meter-Flieger. Dafür genieße ich die Landschaft, den Titisee, den
Schluchsee, immer aus einem neuen Blickwinkel. Habe ich mal gesagt, dass es mir
langweilig wird? Da muss ich mich wohl geirrt haben!
Am Feldberg biege ich nach Norden, Ziel ist das Ende des
Schwarzwaldes. Ich übersteige ich Basis der Wolken, das ist immer ein sehr
erhebendes Gefühl. Zum Rheintal hin nur ein Wattebausch, dann Blau bis nach
Frankreich hinüber. Ich will aber nach Norden. St. Georgen passiere ich nicht
wie gestern tief, sondern majestätisch hoch. Es geht immer weiter. Der Rausch
beginnt. Ich gebe Gas, so gut das mit dem Apis 2 geht, noch immer fliege ich
sehr, sehr vorsichtig. Immer wieder mal verlasse ich den Hauptkamm, nur um dann
so schnell wie möglich wieder direkt über dem Schwarzwald zu fliegen. Ich kann
mich nicht entscheiden, was schöner ist, direkt über dem Kamm, oder seitlich,
den Schwarzwald als Riesenpanorama zu meiner Rechten.
Es sind die Wolken, die das für mich entscheiden. Und
schneller als ich denken kann, ist der Schwarzwald zu Ende. Ich überlege, um
Stuttgart herum zu fliegen. Genau in diesem Moment trocknen die Wolken im
Norden ab, ich traue mich noch nicht.
Zunäscht rocke ich nochmals den Schwarzwald, diesmal nach
Süden. Die Wolken sind dunkel, die Bergrücken nur noch als schwarze Konturen
erkennbar, der Name – Schwarzwald – passt hier sehr gut. Irgendwann wird es mir
zu dunkel. Also versuche ich die Alb zu erreichen. Das ist leichter gesagt als
getan. Zwischen Schwarzwald und Alb ist heute nichtslos. Aber ich muss dorthin,
sonst ist mein Flug für heute zu Ende.
Mit Geduld und einigem Steigen im Blauen schaffe ich es. Nun
beginnt Wonderland. Ich verstehe, warum die Alb eines der besten
Segelflugreviere der Welt ist. Gigantische Wolkentürme locken mich, ich folge
der Verlockung und ahne das Risiko. Aber ich will diese Wolken auskosten. Fast
alle halten sie ihr Versprechen. Mit ruhigen und zugleich starken Aufwinden
geht es nach oben. Der beste trägt mich mit 4,8 Meter pro Sekunde, das ist
besser als Liftfahren.
Oben angekommen suche ich mir immer neue Ziele. Auch das
könnte fast eine Metapher auf das Leben sein. Plötzlich aber ist Schluss mit
lustig. Die Wolken stehen nur noch vereinzelt, was ist los? Wo bin ich? Ich
erwache aus meinen Rausch, nun realisiere ich, dass es noch 100 km bis nach
Donaueschingen sind. Und gleich ist Feierabend. Denke ich. Zum Glück aber ist
es nicht so. Gerade als ich mich selbst verfluche und schon gedanklich den
Motor ausfahre, baut sich in Richtung Süd-Westen eine tolle Wolkenstraße auf.
Zwar muss ich ab und zu mit den Spannweitenboliden kreisen (die immer schlecht
steigen, weil sie riesigen Kreise fliegen), doch ich finde meist eine Wolken
für mich.
Einmal bin ich plötzlich von zehn Fliegern umzingelt. Das
ist zwar nett für’s Auge, aber sonst eher abschreckend. Ich fliege besser, wenn
ich alleine kreise. Wenn ich alleine kreise, fliege ich sogar fast perfekt.
Wenn andere da sind, kommt nur Herumeinern heraus. Lieber riskiere ich das
Aubsaufen und suche mir eine eigene Wolke, als zu lange mit unkontrollierbaren
Luftrowdies zu kreisen.
Je später es wird, desto ruhiger wird es am Himmel. Nur in
der Ferne sehe ich noch einen Flieger kreisen, unter einer pechschwarzen Wolke,
beschienen von gleißendem Licht. Kann es ein schöneres Bild geben? Er ist ganz
oben, für sich allein, er wird nach Hause fliegen, irgendwo hin, das ist seine
letzte Höhe für diesen Tag. Ich nehme die Erhabenheit dieses Bildes in mich auf.
Der Flieger ist weit weg. Keiner von denen, die mich fast über den Haufen
fliegen. Er ist höher, dort, wo ich gerne wäre. Er kreist, aber nicht steil,
sondern großflächig am sonnenbeschienen Rand dieser Wolke, die sich wie durch
eine Gasse teilt. Mitten in dieser Gasse kreist diese kleine Stück Materie,
darin ein Mensch, hoffentlich sich seiner Gunst bewusst und entsprechend
glücklich.
Vielleicht kreiste ich vorher auch so erhaben. Vielleicht
eine Wolke später. Ich werde es nie wissen, denn ich sehr mich nie von außen
beim Fliegen. Ich würde gerne einmal einen Flieger treffen, der mir erzählt,
wie es aussieht, wenn ich da kreise. Vorerst bleiben mir nur meine inneren
Bilder. Die von den Unbilden bereinigte Erinnerung des Tages. Vielleicht eine
ganz wesentliche Erinnerung eines Tages.
Ich kreise ruhig die allerletzte mögliche Wolke aus. Dies
ist meine Minute der Erhabenheit, die ich mitnehme, mir konserviere, in mich
eingrabe. Dieser Moment gehört mir. Aber ich würde ich gerne mit allen teilen,
die fähig sind, das, was ich sehe, was ich spüre, was ich erlebe, genießen zu
können.
Als die Natur mir sagt, dass für heute genug ist, richte ich
die Schnauze des Apis 2 in Richtung Donaueschingen aus. Ich werde noch eine
halbe Stunde brauchen, um diese majestätische Höhe abzubauen und auf der Piste
36 einzuschweben.