31. Juli 2013

Wolkenküssen


Einer dieser Tage, an denen der Apis 2 seine Stärken voll ausspielen kann. Obwohl ich morgens noch eine Besprechung nach der anderen habe und überhaupt nicht an Segelfliegen denken, obwohl ich erst gemütlich nach Hause radle, Mittagesse und es mir dann auf dem Sofa bequem mache, wird das ein richtig guter Flugtag.

Nach dem Mittagsschlag - ich bin ausgeruht - sehen die Wolken plötzlich ganz anders aus. Ich gebe mir einen Rück. Der Hänger steht vor der Haustür, schnell die Batterien, Sonnenbrille und Portemonnaie einpacken. Dann zum Flugplatz fahren. Ich baue in Rekordzeit auf, die Wolken sehen mittlerweile mehr als vielversprechend aus. Und dann zögere ich nicht lange, gebe Gas und bin im Himmel.

Es ist kurz nach 15 Uhr, schönste Nachmittags-Sommerthermik. Wie für den Apis 2 gemacht. Hohe Wolken, wenig Wind. Ich tummle mich an der Schweizer Grenze, Bodensee, ein wenig Schwarzwald. Immer unter den Wolkenstraßen, die mir den Weg zeigen. Ich muss ja keinen Punkten hinterher fliegen.
Es ist einfach ein Genuss. Die Luft ist wunderbar klar, die Sicht gefühlt unendlich. Die Landschaft klar konturiert, das Auge beschäftigt. So vergeht dieser Nachmittag im Rausch. Am Ende des Tages steht weit und breit nur eine Wolke am Himmel. Drum herum sind alle andere Stück für Stück in sich zerfallen. Es ist spät, aber ich will noch nicht langen. Immer wieder fliege ich zur übriggebliebenen Wolken zurück, unter ihr finde ich den steten Aufwind. Es fühlt sich an, wie Küssen.

Bis auch dies zu Ende gehen muss. Wie alles im Leben. Was bleibt, sind die Bilder in meinen Kopf.

21. Juli 2013

Tagesschau


Pünktliche Landungen sind zwar keine eigene Wettbewerbsdisziplin. Gäbe es diese, hätte ich heute wohl den Vogel abgeschossen. Pünktlich zum Ende der Tagesschau landete ich um 20:15. In den vielen Jahren meiner Fliegerei war dies der zweitlängste Flug, vielleicht sogar der längste, so genau führe ich kein Buch. Irgendwann in grauer Vorzeit, kann ich mich an einen Flug mit einer K-8 in der Umkehrthermik über Würzburg erinnern. Das war am Abend.
Heute lande ich nach über 7 Stunden Flugzeit und einen Flug quer über Schwarzwald und Alb. Kilometerangaben mache ich den fragenden Fliegern am Boden keine. Schon lange nicht mehr. Das würde nicht zur Philosophie des UL-Segelfliegens passen. Wer einen Apis 2 sein Eigen nennt, und dann doch nur die eindimensionale OLC-Logik (viel und weit = besser und schöner) reproduziert, hat nichts verstanden.
Vor dem Start kam ein Segelflieger zu mir und stellte sich vor. Wir plauderten ein wenig, was selten genug vorkommt, da mich die meisten Segelflieger eher meiden, da in ihren Augen ein Apis 2 kein vollwertiges Segelflugzeug ist. „Ich beobachte dich schon eine Weile“, sagte er, „du machst dein eigenes Ding: kommst, baust alleine auf, fliegst, landest, baust ab und fährst“. So schlicht, so treffend, so wahr. Mit einem Apis 2 kann man sein eigenes Ding machen. Das Problem besteht lediglich darin, zu wissen, worin es besteht – wie im Leben. Wer sich immer nur mit anderen vergleicht (und der OLC ist nichts als eine gigantische Vergleichs- und Normierungsmaschinerie), der wird nie sein eigenes Ding machen. Wer immer nur in die Fußstapfen anderer steigt, kann nie einen eigenen Weg finden.
Von dieser Erkenntnis angetrieben, war es war aber noch ein langer Weg bzw. Flug bis zu diesen späten Wolken. Zunächst folge ich der Spur, die mich in den Schwarzwald zieht. Aber das klappt nicht so gut, wie ich hoffe. Über dem Kandel verliere ich viel Höhe, sehr viel, schon schaue ich mich nach Außenlandefeldern um (der Motor soll ja gedanklich gar nicht existieren, und das ist gut so). Ich stelle mir vor, in der Nähe von Furtwangen, meinem Wohnort zu landen. Keine gute Vorstellung. Irgendwie ziehen die Wolken nicht. Über dem Kandel hängen nur Fetzen herab. Ich taste mich vorsichtig aus dem Schwarzwald heraus, wobei ich mich an Bodenmerkmalen orientiere. Ich sehe unser ehemaliges Haus im Linachertal, dann fliege ich über das Uracher Tal. Das fühlt sich an, wie Luftwandern. Aber so tief sollte man dabei nicht sein, also konzentriere ich mich, rufe alle meine Gemeinformeln zur Thermiksuche und Selbstmotivation ab. Und siehe: es wirkt. Wo so viel Sinken ist, muss es auch steigen. Gut, wenn man da noch hinkommt.
Und dann passiert etwas, das ich mir selbst kaum erklären kann. Am Rand des Schwarzwaldes, so genau kann ich mich schon jetzt nicht mehr erinnern, packt mich eine Wolke und reißt mich mit gewaltiger Wucht nach oben. Bei 4 m/s würde ich sagen, das sind Engel, die schieben. Aber über mehrere Kreise lang zeigt mein Variometer mehr als 8 m/s Steigen an. Das fühlt sich an, wie die Hand Gottes. Selbst in Australien, über dem hießen Outback, hatte ich nicht so gewaltige Steigwerte. Die Technik funktioniert, die Werte müssen stimmen. Mitten in diesem Vertikalschub kreist mein Apis 2 ruhig und gelassen, keine Turbulenz, nichts. Ich spüre nur, wie das ganze Flugzeug gepackt und hochgezogen wird. Wie an einem Kran, der zuviel Kraft hat.
Ab diesem Moment läuft es gut. Immer wieder finde ich zuverlässige und starke Aufwinde. Ich quere die Baar und steige in die Alb ein. Bei einer Basishöhe zwischen 2.500 und 2.800 Metern ein Kinderspiel. Es ist mühelos, leicht, ein Spiel. Meine Gedanken können sich lösen. Schon träume ich von meinem Flug nach Los Angeles, davon mit dem Mietwagen die kalifornische Küste hinab nach San Diego zu meiner Konferenz zu fahren. In Motels am Straßenrand zu übernachten. Dafür immer wieder den Pazifik zu sehen. Komisch, wozu das menschliche Gehirn fähig ist. Während ich einerseits bekannte Flugwege aus einer auch für den Apis 2 komfortablen Höhe abfliege, dabei nur in Ausnahmefällen kreisend, denke ich an Kalifornien. Während ich mich dem Hornberg nähere und nostalgische Gefühle aufkommen, vermischt mit Wehmut, entsteht eine neue, auf die Zukunft gerichtete Energie. Vorfreue.
Der Tag vergeht in der Luft, wie sonst ein Tag im Büro vergeht. Unter und zwischen Wolken, die sich immer wieder in ihrer Schönheit überbieten. Was kann man alles aus einem solchen Tag machen? Irgendwann wende ich, ab jetzt schiebt mich der Wind, der mich vorher bremste in Richtung Süden. Je später es wird, desto ausgeprägter werden die Wolken und die Wolkenstraßen. Flieger kreuzen meinen Weg, jeder sucht seine Spur. Über mir zieht ein Flieger der offenen Klasse mit langen dünnen Flügeln seine Bahn. An anderer Stelle, in der Nähe eines Segelfluggeländes kreist unter mir ein Kranich, einer rot-weiß lackierter Doppelsitzer aus der Kategorie Oldtimer. Ich habe ich schon mehrfach auf der Alb getroffen. So groß ist die Spannbreite an Gerät, dazwichen mein Apis 2 und ich.
Immer dunkler werden die Wolkenunterränder. Die Wolken laufen breit. Ich befinde mich in riesiger Höhe unter einem schwarzen Deckel, der über mich schwebt und mich hebt. Ab und zu reißt dieser Deckel auf. Dann strömt gleißendes Licht in meine Spur. Ich fühle mich wie in einer Luftkathedrale. Ein kleiner Mensch im Dunkel inmitten des ganz Großen, der Übermächtigen. Und dieser Mensch sucht seine Richtung. Durch das Fenster der Kathedrale dringt gebündelt gleißendes Licht ein und entzückt den kleinen Menschen. Die Fenster der mittelalterlichen Kathedralen waren frühe Medien, bewusst so konstruiert, um Menschen ein Gefühl für Transzendenz zu geben. Was wäre wohl passiert, wenn schon damals Menschen hätten fliegen können. Meine Luftkathedrale ist ungleich größer als jeder Dom, ihre Fenster zwar nicht aus bunten Mosaiken zusammengesetzt, dafür aber von einer Lichtintensität, die unvergleichbar ist. Die langsam tiefer sinkende Sonne dringt in einem Winkel durch diese sich immer wieder öffnenden Fenster, die ein tiefes Gefühl von Ruhe bei mir hinterlassen. Teil dieser Welt zu sein, ist so unvergleichlich anders, als Teil der Welt zu sein, die wir sonst alle bevölkern.
Nun erkenne ich langsam, dass dies ein besonderer Tag sein wird. Die dunklen Wolkenteppiche versorgen mich auch zu später Stunde immer noch zuverlässig mit Energie. Alles scheint hier umgekehrt: Ich wandle nicht auf dem Teppich, ich fliege unter dem Teppich.
Also gleite ich hin und her, immer der möglichen Rennstrecken folgend. Und erfliege ganz neue Geschwindigkeitsbereiche mit meinem Apis 2, das habe ich mich bislang nicht getraut. Zwischendurch rufe ich meine Frau an, um ihr zu sagen, dass ich noch fliege. Ich möchte nicht, dass sie sich Sorgen macht. Und ich fliege tatsächlich immer weiter und länger.
Bald bin ich wohl der einzige Segelflieger weit und breit. Auf dem Klippeneck sehe ich viele Flieger am Boden. Warum fliegen sie nicht? In der Ferne kreist noch ein Einsamer, noch ein Betender, der wie ich diese Kathedrale zu schätzen weiß. Jetzt ist auch er weg, ich bin allein. Und das ist ein durch nichts zu übertrumpfender Genuss. Keine Luftideoten, die mich beinahe über den Haufen fliegen, dieser sakrale Raum gehört allein mir. Ich genieße also jede Minute, weil ich weiß, dass solche Flüge nicht jedes Wochenende möglich sind.
Langsam, fast ohne Kreise, gleite ich die Höhe ab. Ich könnte noch länger fliegen, will aber (als UL!) landen, bevor der Platz schließt. Pünktlich zum Ende der Tagesschau lande ich. Aber statt den Abendfilm im Fernsehen zu schauen, gibt es noch viel zu tun. Diesen Flug muss ich so langsam abklingen lassen, wie ich am Ende die Höhe abgeglitten habe. Das ist eine viel größere Kunst, als Punkte in eine Tabelle einzutragen und sich dann mit anderen zu vergleichen.

13. Juli 2013

Erhabenheit


Nach 7,5 Stunden lande ich glücklich in Donaueschingen. Es war der längste Flug mit meinem Apis2 und der zweitlängste überhaupt in fast 30 Jahren Fliegerei. Für einen reinen Thermiktag ist das nicht schlecht. Langsam werde ich warm mit dem Flieger. Als ich nach Hause komme, ist es schon fast dunkel. In gut einer Stunde habe ich den Apis2 alleine abgerüstet, schneller als neben an die Mannschaft, die zu dritt oder viert einen Discus abrüstete. Was für ein Flug!

Nach dem Start kreise ich mit laufendem Motor im Steigen und bin ziemlich schnell in Abschalthöhe. Motor rein, dort bleibt er dann auch für die nächsten 7,5 Stunden. Noch immer bin ich komplett als Segelflieger sozialisiert. Tage, an denen ich unterwegs Motorhilfe brauche, um einen Außenlandung zu vermeiden, sind mir verhasst. Aber das wird auch immer seltener. Vielleicht komme ich einfach besser klar mit meinem Flieger?

Ich entscheide mich für den Schwarzwald, obwohl auch auf der Alb schon schöne Wolken stehen. Aber die Optik ist einfach besser, mehr für’s Auge. Und das ist schließlich der Grund, warum ich UL-Segelfliegen betreibe. Es geht erstaunlich gut, dafür, dass ich noch vor ein Minuten zögerte, ob ich starten oder doch lieber noch warten soll. Auf ins Getümmel. So fühlt es sich wirklich an. Als wäre eine Schlacht im Gange, eine Wolkenschlacht über der Südschwarzwald. Es blubbert und hebt sich aus allen Tälern, die Hexenküche kocht, dunkle Wolkenfetzen hängen herab, ich schlängle mich hindurch, Ziel Feldberg. Den erreiche ich mühelos, dahinter, die wilde Landschaft um den Belchen, die großen, tiefen Furchen, das Licht, alles wunderschön, doch ich kehre um, noch ist die Basis nicht so berauschend und ich sitze nicht in einem 20-Meter-Flieger. Dafür genieße ich die Landschaft, den Titisee, den Schluchsee, immer aus einem neuen Blickwinkel. Habe ich mal gesagt, dass es mir langweilig wird? Da muss ich mich wohl geirrt haben!

Am Feldberg biege ich nach Norden, Ziel ist das Ende des Schwarzwaldes. Ich übersteige ich Basis der Wolken, das ist immer ein sehr erhebendes Gefühl. Zum Rheintal hin nur ein Wattebausch, dann Blau bis nach Frankreich hinüber. Ich will aber nach Norden. St. Georgen passiere ich nicht wie gestern tief, sondern majestätisch hoch. Es geht immer weiter. Der Rausch beginnt. Ich gebe Gas, so gut das mit dem Apis 2 geht, noch immer fliege ich sehr, sehr vorsichtig. Immer wieder mal verlasse ich den Hauptkamm, nur um dann so schnell wie möglich wieder direkt über dem Schwarzwald zu fliegen. Ich kann mich nicht entscheiden, was schöner ist, direkt über dem Kamm, oder seitlich, den Schwarzwald als Riesenpanorama zu meiner Rechten.

Es sind die Wolken, die das für mich entscheiden. Und schneller als ich denken kann, ist der Schwarzwald zu Ende. Ich überlege, um Stuttgart herum zu fliegen. Genau in diesem Moment trocknen die Wolken im Norden ab, ich traue mich noch nicht.

Zunäscht rocke ich nochmals den Schwarzwald, diesmal nach Süden. Die Wolken sind dunkel, die Bergrücken nur noch als schwarze Konturen erkennbar, der Name – Schwarzwald – passt hier sehr gut. Irgendwann wird es mir zu dunkel. Also versuche ich die Alb zu erreichen. Das ist leichter gesagt als getan. Zwischen Schwarzwald und Alb ist heute nichtslos. Aber ich muss dorthin, sonst ist mein Flug für heute zu Ende.

Mit Geduld und einigem Steigen im Blauen schaffe ich es. Nun beginnt Wonderland. Ich verstehe, warum die Alb eines der besten Segelflugreviere der Welt ist. Gigantische Wolkentürme locken mich, ich folge der Verlockung und ahne das Risiko. Aber ich will diese Wolken auskosten. Fast alle halten sie ihr Versprechen. Mit ruhigen und zugleich starken Aufwinden geht es nach oben. Der beste trägt mich mit 4,8 Meter pro Sekunde, das ist besser als Liftfahren.

Oben angekommen suche ich mir immer neue Ziele. Auch das könnte fast eine Metapher auf das Leben sein. Plötzlich aber ist Schluss mit lustig. Die Wolken stehen nur noch vereinzelt, was ist los? Wo bin ich? Ich erwache aus meinen Rausch, nun realisiere ich, dass es noch 100 km bis nach Donaueschingen sind. Und gleich ist Feierabend. Denke ich. Zum Glück aber ist es nicht so. Gerade als ich mich selbst verfluche und schon gedanklich den Motor ausfahre, baut sich in Richtung Süd-Westen eine tolle Wolkenstraße auf. Zwar muss ich ab und zu mit den Spannweitenboliden kreisen (die immer schlecht steigen, weil sie riesigen Kreise fliegen), doch ich finde meist eine Wolken für mich.
Einmal bin ich plötzlich von zehn Fliegern umzingelt. Das ist zwar nett für’s Auge, aber sonst eher abschreckend. Ich fliege besser, wenn ich alleine kreise. Wenn ich alleine kreise, fliege ich sogar fast perfekt. Wenn andere da sind, kommt nur Herumeinern heraus. Lieber riskiere ich das Aubsaufen und suche mir eine eigene Wolke, als zu lange mit unkontrollierbaren Luftrowdies zu kreisen.

Je später es wird, desto ruhiger wird es am Himmel. Nur in der Ferne sehe ich noch einen Flieger kreisen, unter einer pechschwarzen Wolke, beschienen von gleißendem Licht. Kann es ein schöneres Bild geben? Er ist ganz oben, für sich allein, er wird nach Hause fliegen, irgendwo hin, das ist seine letzte Höhe für diesen Tag. Ich nehme die Erhabenheit dieses Bildes in mich auf. Der Flieger ist weit weg. Keiner von denen, die mich fast über den Haufen fliegen. Er ist höher, dort, wo ich gerne wäre. Er kreist, aber nicht steil, sondern großflächig am sonnenbeschienen Rand dieser Wolke, die sich wie durch eine Gasse teilt. Mitten in dieser Gasse kreist diese kleine Stück Materie, darin ein Mensch, hoffentlich sich seiner Gunst bewusst und entsprechend glücklich.

Vielleicht kreiste ich vorher auch so erhaben. Vielleicht eine Wolke später. Ich werde es nie wissen, denn ich sehr mich nie von außen beim Fliegen. Ich würde gerne einmal einen Flieger treffen, der mir erzählt, wie es aussieht, wenn ich da kreise. Vorerst bleiben mir nur meine inneren Bilder. Die von den Unbilden bereinigte Erinnerung des Tages. Vielleicht eine ganz wesentliche Erinnerung eines Tages.
Ich kreise ruhig die allerletzte mögliche Wolke aus. Dies ist meine Minute der Erhabenheit, die ich mitnehme, mir konserviere, in mich eingrabe. Dieser Moment gehört mir. Aber ich würde ich gerne mit allen teilen, die fähig sind, das, was ich sehe, was ich spüre, was ich erlebe, genießen zu können.

Als die Natur mir sagt, dass für heute genug ist, richte ich die Schnauze des Apis 2 in Richtung Donaueschingen aus. Ich werde noch eine halbe Stunde brauchen, um diese majestätische Höhe abzubauen und auf der Piste 36 einzuschweben.

12. Juli 2013

Sauseschritt


Morgens noch im Büro, doch dann, endlich, ich fahre der Breg entlang Richtung Flugplatz Donaueschingen. Jedesmal wird mir wieder deutlich, wie sehr wir uns doch alles im Leben gestalten müssen. Es braucht fiat, den Willen. Wer vom Reden und Wünschen zum Handeln und Erleben gelangen will, muss einen Widerstand überwinden. Immer und überall. Vielleicht spüren wir diesen Widerstand manchmal nicht mehr. Dann sprechen wir von Gewöhnung.

Von Gewöhnung kann ich gegenwärtig beim Segelfliegen nicht sprechen. Ich komme kaum noch dazu. Ich habe die Tage nicht gezählt, an denen die schönsten Wolken am Himmel standen, in einer Sprache, die nur die Fliegermenschen verstehen können. Statt zu fliegen, saß ich zu oft in geschlossenen Räumen. Aber heute konnte ich diesen Räumen entkommen.

Zunächst war ich sehr enttäuscht. Keine Wolke am Himmel zu sehen, nichts spricht zu mir. Ich baue meinen Apis 2 dennoch auf. Wozu bin ich schließlich hier. Das Gute daran: ich lasse mir Zeit, genieße es, komme noch nicht einmal ins Schwitzen. Ich erinnere mich an die letzten beiden Jahre, da war zu viel Stress im Spiel. Das ist heute anders. Allein dafür hat es sich schon gelohnt.

Noch ein paar Liter Sprit nachtanken, dann ziehe ich den Flieger zur Startbahn. Eigentlich will ich noch warten, doch dann frage ich mich: wozu? Also mache ich mich fertig (lange Hose, Proviant) und schiebe den Flieger in die lange Bahn. Chic sieht er aus, er steht da auf der Piste, in einem Winkel zum Mittelstreifen. Bevor ich den Apis 2 gerade zum Start aufstelle, mache ich noch ein Foto.

Dann schnurre ich in den Himmel. Zunächst geht das gar nicht gut, ich denke, der Motor läuft wohl nicht richtig. Einfach kein Steigen und das Ende der Piste kommt näher. Es sind Abwinde, die mich noch nach unten drücken, ich fliege also weiter. Wo Abwinde sind, kommen auch wieder Aufwinde. Und so ist es. Plötzlich reißt es mich mit doppelter Kraft nach oben. Zur Steigleistung des Motors kommt die Thermik. Ich versuche mit laufendem Motor in der Thermik zu kreisen und steige mit 3 bis 4 Meter. Das bedeutet, dass ich entsprechend schnell oben bin und den Motor ausschalten kann. Der klappt prima ein. Und nun steige ich mühelos im Blauen.

So wird es die nächsten vier Stunden sein. Kräftige Thermik im Blauen, Basis rund 2000 Meter N.N. und immer mal wieder relativ tief. Ich taste mich in den Schwarzwald vor. Das Wasser in der Talsperre bei Linach ist grau-grün – eine komische Farbe. Nach Furtwangen traue ich mich nicht. Vor St. Georgen bin ich tief, ich schleiche mich aus dem Schwarzwald, erwische aber immer wieder kräftige Bärte, die mich zuverlässig nach oben heben.

So fühlt es sich auch an. Der Apis 2 wird wie von einer unsichtbaren Hand sanft nach oben gehoben. Man muss sich nur in diese Hand einschmiegen und dann läuft es prima. Direkt am Flugplatz Winzeln-Schramberg bin ich sehr tief, mache mir aber keine Sorgen. Ich könnte dort ja landen. Ungern allerdings, wenn ich mich an die unfreundlichen Flieger dieses Vereins und die Gespräche mit dem Vorstand auf dem Hornberg erinnere.

Zum Glück ist das nicht nötig. Ich steige und taste mich weiter, denn nun habe ich ein verheißungsvolles Ziel. Am Westrand der Alb entstehen Wolken. Diese sehen aus meiner Perspektive unendlich weit weg aus, aber sie sind pure Magie. Dort will ich sein, dort will ich fliegen, dort will ich hin. Fast glaube ich, dass ich es geschafft hätte. Aber die Wolke, die ich antesten wollte, die Wolke die in der geringsten Entfernung zu mir stand, sie löst sich vor meinen Augen auf. Ich fasse nicht, was ich sehe. Es geht so schnell, just in dem Moment, in dem ich eigentlich „unter“ der Wolke sein sollte, ist da keine mehr.

Also suche ich im Blauen weiter. Steige und bin dann irgendwann doch an der Basis einer Wolke. Es ist nun 5 Uhr. Der Himmel sieht immer besser aus. An Landen ist überhaupt gar nicht zu denken. Die Wolken verbinden sich zu einer Straße, die vom Bodensee bis vor Stuttgart reicht. Fünf mal reite ich hin und her. Fünfmal, bis ich endlich genug habe. Ich düse im Sauseschritt, fast ohne Kreise, entlang der Straße, unter einer traumhaften Basis von 2500 Metern. Alles, was vorher mühsam war, ist nun leicht. Es ist wie eine Metapher auf das Leben insgesamt. Ich bin lange genug dran geblieben, nun werde ich belohnt. Ich habe mich mühsam „emporgearbeitet“, nun genieße ich die Früchte des Erfolges.

Immer mehr andere Segelflieger tauchen auf. Im Blauen ist mir nur einer begegnet. Nun liebäugeln sie alle mit dem Sauseschritt unter der gigantischen Wolkenstraßen. Jedesmal wenn meine Vernunft mir sagt, dass es doch für heute reicht, drehe ich noch einen Kreis, sehe die wunderschön entwickelten Himmelsskulpturen, und dann siegt die Unvernunft, die mir einflüstert: Noch eine Runde, noch einmal bis dorthin und dann zurück. Wie ausweglos das alles ist. Nichts wird sich davon festhalten lassen. Es wird eines Tages, schon morgen vielleicht, egal sein, ob ich noch einmal zu dieser Wolke über der Donauschlucht geflogen bin oder nicht. Aber das Leben realisiert sich nicht nur in der Bilanz und im Rückblick, sondern auch im Hier und Jetzt. Und diese Wolke schreit mich an mit ihrer Schönheit, ihren klaren Konturen, jetzt will ich es wissen, wie fühlt es sich darunter an? Reißt sie mich an sich oder trägt sie mich sanft nach oben? Jede Wolke ist eine Gelegenheit, diese und andere Fragen zu stellen, reiner Vorwand, um den Spieltrieb zu verwissenschaftlichen, denn nur darum geht es, spielen, Luftschlösser bauen und mit Wolken spielen.

Nach der fünften Runde ist der Rausch vorbei. Ich gleite durch das immer diffuser werdende Wolkenmeer, dass sich in das Licht der untergehenden Sonne hüllt, die mehr und mehr blendet. Dreißig Kilometer bis Donaueschingen gleite ich ab und schaue mal rechts, mal links aus dem Cockpit. Mühelos erreiche ich aus dieser Höhe den Platz und baue mit Kurvenwechseln die Höhe ab. Kurz nach 19 Uhr lande ich, eine samtweiche Landung, vielleicht die beste bisher, endlich bin ich einmal zufrieden.