13. Juli 2013

Erhabenheit


Nach 7,5 Stunden lande ich glücklich in Donaueschingen. Es war der längste Flug mit meinem Apis2 und der zweitlängste überhaupt in fast 30 Jahren Fliegerei. Für einen reinen Thermiktag ist das nicht schlecht. Langsam werde ich warm mit dem Flieger. Als ich nach Hause komme, ist es schon fast dunkel. In gut einer Stunde habe ich den Apis2 alleine abgerüstet, schneller als neben an die Mannschaft, die zu dritt oder viert einen Discus abrüstete. Was für ein Flug!

Nach dem Start kreise ich mit laufendem Motor im Steigen und bin ziemlich schnell in Abschalthöhe. Motor rein, dort bleibt er dann auch für die nächsten 7,5 Stunden. Noch immer bin ich komplett als Segelflieger sozialisiert. Tage, an denen ich unterwegs Motorhilfe brauche, um einen Außenlandung zu vermeiden, sind mir verhasst. Aber das wird auch immer seltener. Vielleicht komme ich einfach besser klar mit meinem Flieger?

Ich entscheide mich für den Schwarzwald, obwohl auch auf der Alb schon schöne Wolken stehen. Aber die Optik ist einfach besser, mehr für’s Auge. Und das ist schließlich der Grund, warum ich UL-Segelfliegen betreibe. Es geht erstaunlich gut, dafür, dass ich noch vor ein Minuten zögerte, ob ich starten oder doch lieber noch warten soll. Auf ins Getümmel. So fühlt es sich wirklich an. Als wäre eine Schlacht im Gange, eine Wolkenschlacht über der Südschwarzwald. Es blubbert und hebt sich aus allen Tälern, die Hexenküche kocht, dunkle Wolkenfetzen hängen herab, ich schlängle mich hindurch, Ziel Feldberg. Den erreiche ich mühelos, dahinter, die wilde Landschaft um den Belchen, die großen, tiefen Furchen, das Licht, alles wunderschön, doch ich kehre um, noch ist die Basis nicht so berauschend und ich sitze nicht in einem 20-Meter-Flieger. Dafür genieße ich die Landschaft, den Titisee, den Schluchsee, immer aus einem neuen Blickwinkel. Habe ich mal gesagt, dass es mir langweilig wird? Da muss ich mich wohl geirrt haben!

Am Feldberg biege ich nach Norden, Ziel ist das Ende des Schwarzwaldes. Ich übersteige ich Basis der Wolken, das ist immer ein sehr erhebendes Gefühl. Zum Rheintal hin nur ein Wattebausch, dann Blau bis nach Frankreich hinüber. Ich will aber nach Norden. St. Georgen passiere ich nicht wie gestern tief, sondern majestätisch hoch. Es geht immer weiter. Der Rausch beginnt. Ich gebe Gas, so gut das mit dem Apis 2 geht, noch immer fliege ich sehr, sehr vorsichtig. Immer wieder mal verlasse ich den Hauptkamm, nur um dann so schnell wie möglich wieder direkt über dem Schwarzwald zu fliegen. Ich kann mich nicht entscheiden, was schöner ist, direkt über dem Kamm, oder seitlich, den Schwarzwald als Riesenpanorama zu meiner Rechten.

Es sind die Wolken, die das für mich entscheiden. Und schneller als ich denken kann, ist der Schwarzwald zu Ende. Ich überlege, um Stuttgart herum zu fliegen. Genau in diesem Moment trocknen die Wolken im Norden ab, ich traue mich noch nicht.

Zunäscht rocke ich nochmals den Schwarzwald, diesmal nach Süden. Die Wolken sind dunkel, die Bergrücken nur noch als schwarze Konturen erkennbar, der Name – Schwarzwald – passt hier sehr gut. Irgendwann wird es mir zu dunkel. Also versuche ich die Alb zu erreichen. Das ist leichter gesagt als getan. Zwischen Schwarzwald und Alb ist heute nichtslos. Aber ich muss dorthin, sonst ist mein Flug für heute zu Ende.

Mit Geduld und einigem Steigen im Blauen schaffe ich es. Nun beginnt Wonderland. Ich verstehe, warum die Alb eines der besten Segelflugreviere der Welt ist. Gigantische Wolkentürme locken mich, ich folge der Verlockung und ahne das Risiko. Aber ich will diese Wolken auskosten. Fast alle halten sie ihr Versprechen. Mit ruhigen und zugleich starken Aufwinden geht es nach oben. Der beste trägt mich mit 4,8 Meter pro Sekunde, das ist besser als Liftfahren.

Oben angekommen suche ich mir immer neue Ziele. Auch das könnte fast eine Metapher auf das Leben sein. Plötzlich aber ist Schluss mit lustig. Die Wolken stehen nur noch vereinzelt, was ist los? Wo bin ich? Ich erwache aus meinen Rausch, nun realisiere ich, dass es noch 100 km bis nach Donaueschingen sind. Und gleich ist Feierabend. Denke ich. Zum Glück aber ist es nicht so. Gerade als ich mich selbst verfluche und schon gedanklich den Motor ausfahre, baut sich in Richtung Süd-Westen eine tolle Wolkenstraße auf. Zwar muss ich ab und zu mit den Spannweitenboliden kreisen (die immer schlecht steigen, weil sie riesigen Kreise fliegen), doch ich finde meist eine Wolken für mich.
Einmal bin ich plötzlich von zehn Fliegern umzingelt. Das ist zwar nett für’s Auge, aber sonst eher abschreckend. Ich fliege besser, wenn ich alleine kreise. Wenn ich alleine kreise, fliege ich sogar fast perfekt. Wenn andere da sind, kommt nur Herumeinern heraus. Lieber riskiere ich das Aubsaufen und suche mir eine eigene Wolke, als zu lange mit unkontrollierbaren Luftrowdies zu kreisen.

Je später es wird, desto ruhiger wird es am Himmel. Nur in der Ferne sehe ich noch einen Flieger kreisen, unter einer pechschwarzen Wolke, beschienen von gleißendem Licht. Kann es ein schöneres Bild geben? Er ist ganz oben, für sich allein, er wird nach Hause fliegen, irgendwo hin, das ist seine letzte Höhe für diesen Tag. Ich nehme die Erhabenheit dieses Bildes in mich auf. Der Flieger ist weit weg. Keiner von denen, die mich fast über den Haufen fliegen. Er ist höher, dort, wo ich gerne wäre. Er kreist, aber nicht steil, sondern großflächig am sonnenbeschienen Rand dieser Wolke, die sich wie durch eine Gasse teilt. Mitten in dieser Gasse kreist diese kleine Stück Materie, darin ein Mensch, hoffentlich sich seiner Gunst bewusst und entsprechend glücklich.

Vielleicht kreiste ich vorher auch so erhaben. Vielleicht eine Wolke später. Ich werde es nie wissen, denn ich sehr mich nie von außen beim Fliegen. Ich würde gerne einmal einen Flieger treffen, der mir erzählt, wie es aussieht, wenn ich da kreise. Vorerst bleiben mir nur meine inneren Bilder. Die von den Unbilden bereinigte Erinnerung des Tages. Vielleicht eine ganz wesentliche Erinnerung eines Tages.
Ich kreise ruhig die allerletzte mögliche Wolke aus. Dies ist meine Minute der Erhabenheit, die ich mitnehme, mir konserviere, in mich eingrabe. Dieser Moment gehört mir. Aber ich würde ich gerne mit allen teilen, die fähig sind, das, was ich sehe, was ich spüre, was ich erlebe, genießen zu können.

Als die Natur mir sagt, dass für heute genug ist, richte ich die Schnauze des Apis 2 in Richtung Donaueschingen aus. Ich werde noch eine halbe Stunde brauchen, um diese majestätische Höhe abzubauen und auf der Piste 36 einzuschweben.