Pünktliche Landungen sind zwar keine eigene
Wettbewerbsdisziplin. Gäbe es diese, hätte ich heute wohl den Vogel abgeschossen.
Pünktlich zum Ende der Tagesschau landete ich um 20:15. In den vielen Jahren meiner
Fliegerei war dies der zweitlängste Flug, vielleicht sogar der längste, so
genau führe ich kein Buch. Irgendwann in grauer Vorzeit, kann ich mich an einen
Flug mit einer K-8 in der Umkehrthermik über Würzburg erinnern. Das war am
Abend.
Heute lande ich nach über 7 Stunden Flugzeit und
einen Flug quer über Schwarzwald und Alb. Kilometerangaben mache ich den
fragenden Fliegern am Boden keine. Schon lange nicht mehr. Das würde nicht zur
Philosophie des UL-Segelfliegens passen. Wer einen Apis 2 sein Eigen nennt, und
dann doch nur die eindimensionale OLC-Logik (viel und weit = besser und
schöner) reproduziert, hat nichts verstanden.
Vor dem Start kam ein Segelflieger zu mir und
stellte sich vor. Wir plauderten ein wenig, was selten genug vorkommt, da mich
die meisten Segelflieger eher meiden, da in ihren Augen ein Apis 2 kein
vollwertiges Segelflugzeug ist. „Ich beobachte dich schon eine Weile“, sagte
er, „du machst dein eigenes Ding: kommst, baust alleine auf, fliegst, landest,
baust ab und fährst“. So schlicht, so treffend, so wahr. Mit einem Apis 2 kann
man sein eigenes Ding machen. Das Problem besteht lediglich darin, zu wissen, worin
es besteht – wie im Leben. Wer sich immer nur mit anderen vergleicht (und der
OLC ist nichts als eine gigantische Vergleichs- und Normierungsmaschinerie),
der wird nie sein eigenes Ding machen. Wer immer nur in die Fußstapfen anderer
steigt, kann nie einen eigenen Weg finden.
Von dieser Erkenntnis angetrieben, war es war aber
noch ein langer Weg bzw. Flug bis zu diesen späten Wolken. Zunächst folge ich
der Spur, die mich in den Schwarzwald zieht. Aber das klappt nicht so gut, wie
ich hoffe. Über dem Kandel verliere ich viel Höhe, sehr viel, schon schaue ich
mich nach Außenlandefeldern um (der Motor soll ja gedanklich gar nicht existieren,
und das ist gut so). Ich stelle mir vor, in der Nähe von Furtwangen, meinem
Wohnort zu landen. Keine gute Vorstellung. Irgendwie ziehen die Wolken nicht.
Über dem Kandel hängen nur Fetzen herab. Ich taste mich vorsichtig aus dem
Schwarzwald heraus, wobei ich mich an Bodenmerkmalen orientiere. Ich sehe unser
ehemaliges Haus im Linachertal, dann fliege ich über das Uracher Tal. Das fühlt
sich an, wie Luftwandern. Aber so tief sollte man dabei nicht sein, also
konzentriere ich mich, rufe alle meine Gemeinformeln zur Thermiksuche und
Selbstmotivation ab. Und siehe: es wirkt. Wo so viel Sinken ist, muss es auch
steigen. Gut, wenn man da noch hinkommt.
Und dann passiert etwas, das ich mir selbst kaum
erklären kann. Am Rand des Schwarzwaldes, so genau kann ich mich schon jetzt
nicht mehr erinnern, packt mich eine Wolke und reißt mich mit gewaltiger Wucht
nach oben. Bei 4 m/s würde ich sagen, das sind Engel, die schieben. Aber über
mehrere Kreise lang zeigt mein Variometer mehr als 8 m/s Steigen an. Das fühlt
sich an, wie die Hand Gottes. Selbst in Australien, über dem hießen Outback,
hatte ich nicht so gewaltige Steigwerte. Die Technik funktioniert, die Werte
müssen stimmen. Mitten in diesem Vertikalschub kreist mein Apis 2 ruhig und
gelassen, keine Turbulenz, nichts. Ich spüre nur, wie das ganze Flugzeug
gepackt und hochgezogen wird. Wie an einem Kran, der zuviel Kraft hat.
Ab diesem Moment läuft es gut. Immer wieder finde
ich zuverlässige und starke Aufwinde. Ich quere die Baar und steige in die Alb
ein. Bei einer Basishöhe zwischen 2.500 und 2.800 Metern ein Kinderspiel. Es
ist mühelos, leicht, ein Spiel. Meine Gedanken können sich lösen. Schon träume
ich von meinem Flug nach Los Angeles, davon mit dem Mietwagen die kalifornische
Küste hinab nach San Diego zu meiner Konferenz zu fahren. In Motels am
Straßenrand zu übernachten. Dafür immer wieder den Pazifik zu sehen. Komisch,
wozu das menschliche Gehirn fähig ist. Während ich einerseits bekannte Flugwege
aus einer auch für den Apis 2 komfortablen Höhe abfliege, dabei nur in
Ausnahmefällen kreisend, denke ich an Kalifornien. Während ich mich dem
Hornberg nähere und nostalgische Gefühle aufkommen, vermischt mit Wehmut, entsteht
eine neue, auf die Zukunft gerichtete Energie. Vorfreue.
Der Tag vergeht in der Luft, wie sonst ein Tag im
Büro vergeht. Unter und zwischen Wolken, die sich immer wieder in ihrer
Schönheit überbieten. Was kann man alles aus einem solchen Tag machen?
Irgendwann wende ich, ab jetzt schiebt mich der Wind, der mich vorher bremste
in Richtung Süden. Je später es wird, desto ausgeprägter werden die Wolken und
die Wolkenstraßen. Flieger kreuzen meinen Weg, jeder sucht seine Spur. Über mir
zieht ein Flieger der offenen Klasse mit langen dünnen Flügeln seine Bahn. An
anderer Stelle, in der Nähe eines Segelfluggeländes kreist unter mir ein
Kranich, einer rot-weiß lackierter Doppelsitzer aus der Kategorie Oldtimer. Ich
habe ich schon mehrfach auf der Alb getroffen. So groß ist die Spannbreite an
Gerät, dazwichen mein Apis 2 und ich.
Immer dunkler werden die Wolkenunterränder. Die
Wolken laufen breit. Ich befinde mich in riesiger Höhe unter einem schwarzen
Deckel, der über mich schwebt und mich hebt. Ab und zu reißt dieser Deckel auf.
Dann strömt gleißendes Licht in meine Spur. Ich fühle mich wie in einer Luftkathedrale.
Ein kleiner Mensch im Dunkel inmitten des ganz Großen, der Übermächtigen. Und
dieser Mensch sucht seine Richtung. Durch das Fenster der Kathedrale dringt
gebündelt gleißendes Licht ein und entzückt den kleinen Menschen. Die Fenster
der mittelalterlichen Kathedralen waren frühe Medien, bewusst so konstruiert,
um Menschen ein Gefühl für Transzendenz zu geben. Was wäre wohl passiert, wenn
schon damals Menschen hätten fliegen können. Meine Luftkathedrale ist ungleich
größer als jeder Dom, ihre Fenster zwar nicht aus bunten Mosaiken zusammengesetzt,
dafür aber von einer Lichtintensität, die unvergleichbar ist. Die langsam tiefer
sinkende Sonne dringt in einem Winkel durch diese sich immer wieder öffnenden
Fenster, die ein tiefes Gefühl von Ruhe bei mir hinterlassen. Teil dieser Welt
zu sein, ist so unvergleichlich anders, als Teil der Welt zu sein, die wir
sonst alle bevölkern.
Nun erkenne ich langsam, dass dies ein besonderer
Tag sein wird. Die dunklen Wolkenteppiche versorgen mich auch zu später Stunde
immer noch zuverlässig mit Energie. Alles scheint hier umgekehrt: Ich wandle nicht
auf dem Teppich, ich fliege unter dem Teppich.
Also gleite ich hin und her, immer der möglichen
Rennstrecken folgend. Und erfliege ganz neue Geschwindigkeitsbereiche mit
meinem Apis 2, das habe ich mich bislang nicht getraut. Zwischendurch rufe ich
meine Frau an, um ihr zu sagen, dass ich noch fliege. Ich möchte nicht, dass
sie sich Sorgen macht. Und ich fliege tatsächlich immer weiter und länger.
Bald bin ich wohl der einzige Segelflieger weit und
breit. Auf dem Klippeneck sehe ich viele Flieger am Boden. Warum fliegen sie nicht?
In der Ferne kreist noch ein Einsamer, noch ein Betender, der wie ich diese
Kathedrale zu schätzen weiß. Jetzt ist auch er weg, ich bin allein. Und das ist
ein durch nichts zu übertrumpfender Genuss. Keine Luftideoten, die mich beinahe
über den Haufen fliegen, dieser sakrale Raum gehört allein mir. Ich genieße
also jede Minute, weil ich weiß, dass solche Flüge nicht jedes Wochenende
möglich sind.
Langsam, fast ohne Kreise, gleite ich die Höhe ab.
Ich könnte noch länger fliegen, will aber (als UL!) landen, bevor der Platz
schließt. Pünktlich zum Ende der Tagesschau lande ich. Aber statt den Abendfilm im Fernsehen zu schauen,
gibt es noch viel zu tun. Diesen Flug muss ich so langsam abklingen lassen, wie
ich am Ende die Höhe abgeglitten habe. Das ist eine viel größere Kunst, als
Punkte in eine Tabelle einzutragen und sich dann mit anderen zu vergleichen.