11. August 2012

Zeitreise


Als ich meinen Hänger öffne, sehe ich einen Jungen auf mich zukommen. Er stand an der noch verschlossenen Halle der Segelflieger und wartete darauf, dass der Fluglehrer und andere Schüler kommen. Wir begrüßten uns und tauschten unsere Namen aus. Dann fragte er pflichtbewusst, ob er mir helfen könne. Ich musste ihn enttäuschen, aber ich plauderte ein wenig mit ihm, um nicht zu brüsk zu wirken. 3o Jahre zogen an meinem inneren Auge vorbei. 30 Jahre einer Entwicklung, über die ich – als Zweifler geboren – in regelmäßigen Abständen rätsele.
Da war der Junge, der Flugzeugmodelle baute und flog, weil die Eltern ihm den Eintritt in einen Segelflugverein verboten hatten. Der begeisterte Mitflieger, dort, wo sich eine Möglichkeit bot – die manchmal JAHRE auf sich warten ließ. Der Befreiungsschlag in einer Flugschule, das ganze Gesparte wird für einen Freiflug auf den Kopf gehauen. Und dann die Jahre der Odyssee durch Vereine an verschiedenen Orten. Es gab Zeiten, da stand ich wie der Junge mir gegenüber auf Flugplätzen und hätte alles dafür gegeben eines dieser Sehnsuchtsobjekte anfassen zu dürfen. Nur um mich der Illusion hinzugeben, dabei zu sein, einer von denen, die die Helden meiner Kindheit und Jugend waren.
Dieser Impuls geht wohl nie verloren. Sonst stünden auf Luftfahrtmessen nicht Menschen um Flugzeuge, die sie bestaunen, in die sie sich setzen, von denen sie träumen. Immerhin das – Träumen – muss erlaubt sein und schützt gegen den Unrat in der Welt.
Mittlerweile ist das Fliegen säkularisiert, seinem Mythos entraubt, der in der Kindheit noch so leicht gepflegt werden konnte, der sich beim heimlichen Lesen von Büchern, nachts unter der Bettdecke, fast von ganz alleine aufdrängte. In der Frage des Jungen, „soll ich helfen?“ klang auch dieses Seltsame „darf ich dabeisein?“ mit , dass ich nur zu gut kannte, weil es für viele Jahre meines Lebens die Sehnsuchtsformel gewesen war.
Auch wenn ich gegenwärtig nicht wusste, wohin mich die weitere Entwicklung fliegerisch bringen würde, war doch wenigstens klar, dass heute ein guter Flugtag auf mich warten würde, also baute ich (allein) auf, solange es noch nicht zu heiß war. Mit meiner neuen Schleppvorrichtung zog ich den Apis 2 an das Ende der Piste. Vor mir war ein Nimbus 4 gestartet, eines dieser Riesendinger, die mit unverhältnismäßig mehr Aufwand doch letztlich nur das Gleiche suchten. Der Motor lief zu meiner großen Freude einwandfrei, so dass ich gut Höhe machte. Im Steigflug erwischte ich einen Aufwind, der mir ein Gesamtsteigen von 4m/s brachte, so dass ich schon bald den Motor abstellen konnte. Beim Einfahren des Motors sah ich Richtung Platz, dort wurde gerade die Winde aufgebaut.
Für heute konnte das Spiel beginnen. Ich flog in dem Bewusstsein, dass dies möglicherweise der letzte Flug für mich in dieser Saison sein würde. Schon bald würde ich in Wien sein und dort meine Gastprofessur antreten. Damit war die Saison für mich dieses Jahr um 6 Wochen verkürzt. Aber der Flug bescherte mir einen angenehmen Abschied.
Die Basis war nicht mehr so traumhaft hoch, wie bei einigen der letzten Flüge, aber der Himmel war klar durch Wolkenbänder konturiert, denen ich blind vertraute und folgte. Der Weg war durch die Windrichtung vorgezeichnet – Osten. Gegen den Wind hin und dann mit Rückenwind zurück war heute die Devise. Ich bewegte mich zwischen den Luftriffen wie der kleine Fisch Nemo auf der Suche nach ein bisschen Glück. Das gute Wetter hatten auch andere bemerkt, mein Flarm hörte sich an, wie ein Alleinunterhalter auf einer goldenen Hochzeit, dauernd machte es Töne, die zwar nicht gut klangen, aber immerhin einen Nutzen hatten. Ich sah zweimal einen Taurus, eine Menge K-8en, einen Califen und eine SB 5. Und natürlich das Übliche an Kunststoffsegelfliegern.
Ein wenig im Zick-Zack ging es über die Alb, wobei ich versuchte, den letzten Artikel, den ich über sauberes Kurbeln gelesen hatte, in die Tat umzusetzen. Hatte ich 45 Grad Schräglage? Kreiste ich in beide Richtungen gleichgut? Nein, nein, also übte ich weiter. Die Landschaft kam mir inzwischen merkwürdig vertraut vor, ein wenig fast empfand ich eine schmerzliche Agonie, weil mich immer das Neue, nie aber das Bekannte reizte. Mein Leben bestand immer im Wandel, das tut es immer, gleichwohl achten wir meistens auf den Wiedererkennungseffekt und viel zu selten auf den Kontrast. Vielleicht war auch das der Grund, warum ich manchmal des ewigen Kreisens überdrüssig wurde und mich nach neuen Landstrichen unter den Flügen sehnte. Mein Gehirn braucht wohl mehr Abwechslung, als ich im bieten kann.
Ich  konnte die Entwicklung der Wolken nicht so richtig einschätzen, aber irgendwie war mir mulmig. Noch standen die Wolken brav aufgebauscht in einer Reihe, aber ich traute dem Frieden nicht. Noch eine Wolken nach Osten nahm ich mir vor und drehte dann über Günzburg wieder in Westrichtung. Diesmal ging alles mit Rückwind viel einfacher. Die Windkomponente macht sich beim APIS 2 einfach bemerkbar – das ist auch der einzige Unterschied zu anderen Segelflugzeugen.
Ich flog an der nördlichen Albkante entlang, die Teck und den Flughafen Stuttgart in Sicht und genoss das wunderbare Panorama dieser Landschaft. Mal ging es besser, mal schlechter, aber nie hatte ich wirklich Mühe, mich wieder hoch zu arbeiten. Wohl auch, weil sich immer mehr Flieger und immer weniger Wolken konzentrierten und so jeden verfügbaren Bart markierten. Denn mein Gefühl war richtig gewesen. Ab halb Fünf bauten die Wolken rapide ab und bald der Himmel bis auf ein paar Fetzen blau. Ich schaffte es aber mühelos, hier und da noch einen Aufwind zu finden und meldete mich dann kurz vor Sechs zufrieden mit dem Tag zur Landung in Donaueschingen, hinter mir eine Zweimot der Swissair im direkten Anflug.
Noch als mein APIS 2 fix und fertig im Hänger verstaut war, herrschte Windenbetrieb. Ich schaute hinüber und dachte an meine Zeit als Flugschüler zurück. Manchmal hatte ich zwölf Stunden auf dem Fluggelände verbrachte, für einen dreiminütigen Start. Ich wünschte dem Jungen, der mir am Morgen hatte helfen wollen, mehr Glück und ein zeitgemäßeres Ausbildungskonzept. Bei einem aber war ich mir sicher: Das sehnsuchtsvolle Streben wird sich nie ändern, nur in immer wieder neuer, verkleideter Form auftreten.

28. Juli 2012

Donnerwetter


Zusammen mit meiner Frau sitze ich abends auf Klappstühlen mitten in der Natur des Schwarzwaldes und betrachte den Sonnenuntergang drüben hinter den Vogesen. Es ist unser Lieblingsplatz gleich hinter dem Alteck, man blinkt genau auf den Kandel. Viel schöner kann Landschaft, kann Leben kaum sein. Wir bemerken gar nicht, dass vom Feldberg her ein Gewitter heranzieht. Aber wir bemerken den wütenden Bauern, der mit Frau und Kind angefahren kommt, um uns zurecht zu weisen. Wir stünden auf seinem Grundstück und würden das Gras platt machen. Zum Glück interessiert sich die 16 Monate alte Tochter für unsere Chips und bringt das Eis zum Schmelzen. Nach einer Stunde Plauderei sind wir fast schon Freunde geworden.
Tagsüber flog ich genau über diese Landschaft, es hat ein Schwarzwald-Tag werden sollen. Diesmal war ich ausgeschlafener und wusste schon, wie ich auf dem Acker hinter der Schwelle meinen Flieger aufbaue. Ich musste den kleinen Zweitakter 12 Minuten schnurren lassen, um die erste Wolke am Rande des Schwarzwaldes zu erreichen. Beim Aufrüsten hatte ich noch Zweifel, so wenig Wolken, so schiefe Wolken. Ich musste mehr arbeiten, als am Tag zuvor. Vielleicht war dieser Flugtag der Abspann zum „großen Kino“ von gestern?
Doch dann wurde es immer besser. Die Wolken bauten sich auf, der Wind kam nur schwach von Süden. Und die Wolkenuntergrenze stieg und stieg, immer wieder kratzte ich bei einer Basis von 2700 Meter an der FIR Zürich oder Langen. Tief ging heute nur, wenn man sich absichtlich zu lange im Saufen aufhielt. Zwar ging es nicht so bequem geradeaus wie am Tag zuvor, dennoch fand ich immer einen Aufwind, der mich ein paar Stockwerke höher hiefte.
Zwischendurch bildeten sich grandiose Wolkenstraßen, dunkle Wolkendächer, unter denen ich mich fühlte, wie ein Tiefseetaucher. Einmal musste ich sogar aus der tragenden Linie ausscheren, sonst wäre ich ruck zuck in der Wolke gefangen worden. Selbst mit gerade noch zulässiger Geschwindigkeit hatte ich im Geradeausflug noch Steigen. Hier zeigte der Flieger seine Grenzen, mit einem Segelflieger normaler Bauart hätte man dieses Steigen sicher noch „wegdrücken“ können. Aber soll ich mich darüber ärgern, wenn es doch wieder an jeder Ecke noch oben geht?
Nur ein paar wenige Flieger waren heute unterwegs, die meisten hatten wohl das Wetterfenster unterschätzt. So konnte ich entspannt fliegen, ohne ständig auf die Testesteron-Bomber zu achten. Der Tag verging in tragender Stimmung, so könnte es jetzt noch ein paar Wochen weitergehen. Das erste Mal seit langem fühlte ich mich in Urlaubsstimmung. Zwar war das fliegbare Fenster deutlich kleiner als am Tag zuvor, aber für genussvolles Gleiten über Schwarzwald und Baar reichte es allemale. Und dann dieses Basishöhen! Ich konnte es kaum glauben, freute mich aber über dieses ideale Apis-2 Wetter.
Nur der Rückflug wurde etwas arbeitsamer. Über dem Schwarzwald regenete es bereits, vor mir hatte sich bereits alles, was mich heben könnte aufgelöst bzw. zu dunklen Fetzen zusammen geschoben. Mit nur 300 Metern über Gleitpfad (ohne genauen auf den Apis 2 abgestimmten Endanflugrechner) wollte ich – aus Norden kommend – nicht über Villingen gleiten. Zumal bei ca. 20 km/h Gegenwind. Aber dann fand ich, dank der hervorragenden Steigeigenschaften des Apis 2, doch noch einen Aufwind, schwach zunächst, weniger als einen halben Meter Steigen pro Sekunde. Dann aber einen „runden“ Meter. Das reichte, um dann mit Speed zurück nach Donaueschingen zu zischen und dann mit voll gezogenen Klappen einen eng gekurvten Gegenanflug zwischen zwei landenden Motormaschinen hinzulegen, der direkt vor meinem Hänger endete.
Nun könnte mein Urlaub beginnen, dachte ich beim Abledern der Flächen. Wenn ich nicht so viel zu tun hätte. Aber ich versprach mir, nun noch jeden fliegbaren Tag mitzunehmen. Schließlich brauchte ich auch Energie für meine Projekte.
Zum Abschied sagte uns der Jungbauer, dass wir Glück gehabt hätten. Wäre sein Vater gekommen, er hätte richtig mit uns geschimpft, es hätte ein Donnerwetter gegeben. So aber rollte nur das Donnern und Blitzen vom Feldberg herüber. Wir stauten noch eine Stunde auf unserem Balkon, bevor es dann zu regnen begann und wir ins Bett gingen.

26. Juli 2012

Großes Kino


Wenn in Hollywood ein Film ein Kassenschlager werden soll, dann benötigt dieser drei Zutaten: eine gute Idee, eine spannende Dramaturgie und eine perfekte Lichtsetzung. Diese drei Elemente hatte ich heute auf meinem Flug ebenfalls mit an Bord.
Die Idee, Fliegen zu gehen, war erst einmal nicht so gut. Ich hatte die halbe oder gefühlt die ganze Nacht nicht geschlafen. Das eine oder andere Würstchen oder Steak des Grillabends lag wohl noch schief. Da half auch kein Tobinambur („Rossler“), mein Lieblingsgift aus dem Schwarzwald. Also versuchte ich einfach entspannt dazuliegen und zu warten, bis die Nacht vorbei ging. Was nicht einfach ist, wenn man weiß, dass am folgenden Tag ein guter Flugtag angesagt ist. Für den man eigentliche ausgeschlafen sein sollte.
Ich stand also einfach auf, machte mir einen starken Kaffee und packte alles Notwendige für einen Flugtag ein, ohne die letzte Nacht weiter zu thematisieren oder nachzudenken, ob ich besser Veganer werden sollte. Mittags war ich in der Luft. Alles klappte gut, der autonome Aufbau selbst auf dem Acker hinter der Piste 18, der Start mit dem neu eingestellten Vergaser. Nur drei oder vier Minuten lief der Motor, gleich nach dem Abheben wurde das Eigensteigen durch einen kräftigen Bart unterstützt, der mir 4,5 Meter pro Sekunde Gesamtsteigen auf das Variometer zauberte.
Damit sind wir bei der Dramaturgie. Diese lässt sich einfach zusammenfassen: Wolken, große Wolken, Wolkenstraßen. Ein Traum. Kaum Wind – ein perfekter Tag für den Apis 2. Die erste Wolke nach dem Einfahren des Motors kreiste ich bereits auf über 2000 Meter aus, dann ging es immer nur weiter gerade aus Richtung Osten. Auch das gehörte zur Dramaturgie: heute war ein Alb-Tag. Im Delphin-Flug das Steigen mitnehmen, unter langen dunklen Wolkenstraßen dahingleiten. Ich flog bis zur Grenze des gelben Bereiches, immer mit 140 km/h zwischen den Steiggebieten. Bei dieser Höhe heute war das kein Problem.
Immer wieder ballten sich Wolkentürme auf, versperrten Weg und Sicht, spielen mit ihrer Kraft. Entweder fielen sie wieder zusammen, oder sie verbanden sich mit anderen Kraftprotzen zu noch größeren Türmen. Und damit sind wir beim Licht. Ich wusste den ganzen Tag nicht, ob ich mir beim Kappe tief ins Gesicht ziehen sollte um mich vor dem gleißenden Licht auf freier Strecke zu schützen oder ob ich eine Leselampe im Cockpit anmachen sollte, weil es unter den prallen Wolken so dunkel war.
Hinter dem Nördlinger Ries waren die Wolken nicht mehr freundlich sondern bedrohlich. Schweren Herzens kehrte ich um, nicht ohne einen kleinen Schwenker über den Hornberg zu machen. Zuerst überkam mich ein wenig Wehmut und Nostalgie, ich musste an die vielen Wochenenden und Sommer dort denken, an meine Frau und unseren alten Wohnwagen. Doch dann freute ich mich auch, dass es weiter ging, das Leben Entwicklung sein durfte. Ein paar geheime Gedanken, die ich nur mit meiner Frau teilen werde, schossen mir über unsere gemeinsame Zukunft durch den Kopf. Und dann war der Hornberg schon wieder verschwunden.
Der direkte Rückweg wurde mir von einer überentwickelten Wolke versperrt. Nicht das erste mal fand ich heute Steigen im Regen, kurvte dann aber doch nach Norden um das Ungeheuer sicher zu umfliegen. Ich stolperte in Riesenhöhe aus der Alb, sah aber, dass ich den Schwarzwald nicht erreichen würde. Dort regnete es bereits. Später stellte ich fest, dass mir meine Frau eine besorgte Nachricht auf meine Mailbox gesprochen hatte. Sie hatte befürchtet, dass ich unterwegs irgendwo vom Regen aus dem Himmel gespült worden wäre.
Aber nein, es lief gut. Sehr gut sogar. Noch immer steig die Basis. Es würden dann später 400 km gewesen sein, nach OLC vielleicht auch 450. Aber das spornte mich im Moment nicht an. Das war nicht mehr meine Welt, wenngleich ich ab und zu in diese blickte - aber eher, um die Leistungsfähigkeit des Apis 2 zu dokumentieren. Ich war fasziniert vom großen Kino um mich herum, dem Himmelskino. Ein Programm, nach dem wir alle mehr oder weniger süchtig sind, wenn wir einmal mit dem Fliegen begonnen haben. Das große Kino, das ins Herz geht und in den Kopf, vielleicht auch in die Seele, sollte es diese tatsächlich geben.
Ich war hundemüde und hatte große Probleme mich aufgrund des Schlafmangels zu konzentrieren. Es gab keinen Horizont, weil die Sicht so schlecht war. Mein Wassersack war ausgelaufen und ich saß hier oben in einer kalten Pfütze. Und dennoch könnte ich mir diesen Film immer wieder ansehen, er würde mich nie langweilen. In einem letzten schnellen und ruhigen Gleitflug durchstach ich die letzte dunkle Wand, die mich noch von meinem Heimatflugplatz trennte und schwebte in einem Meter Höhe über die lange Piste von Donaueschingen um dann fast direkt vor meinem Hänger zum Stehen zu kommen. Das große Kino war vorbei, das Kino im Kopf fängt damit aber erfahrungsgemäß an. Nach diesem Film werde ich sicher gut schlafen.

23. Juni 2012

Goldrand


Auf dem Weg nach Hause gibt es, aus dichtem Wald kommend, eine Kurve, die durch eine Baumallee hindurch den Blick auf den nahenden Schwarzwald freigibt. Einige Wiesen schwingen sich langsam zu Höhe über dem Meeresspiegel auf, in der Ferne markiert eine grüne Fläche den Rand des Waldbestandes. Immer, wenn ich vom Flugplatz nach Hause fahre, den Apis 2 in seinem Hänger hinter mir herziehe, geht im Westen die Sonne unter, zwischen den Bäumen, die vorausblickende Menschen einst hier am Straßenrand gepflanzt haben. Da die Sonne dann sehr tief und genau in Blickrichtung steht, trage ich meine Sonnenbrille, obwohl es schon spät ist, kurz vor Sunset. Heute aber, war es nicht nur ein normaler Sonnenuntergang, sondern ein lebendiges Gesamtkunstwerk, in das ich blickte.
Noch nie hatte ich diesen Weltenausschnitt so schön gesehen. Die untergehende Sonne tauchte die Landschaft, die Wiesen, die Häuser in ein mystisches Licht, so als hätten tausend katholische Päpste zusammengelegt, um alles in ein filigranes Blattgold zu tauchen. Ich hätte am liebsten angehalten, wusste aber, dass nur dieser Moment so unnachahmlich sein würde, das Passieren der Kurve, der Blick durch die Allee, die untergehende Sonne und die Landschaft mit Goldrand. Wer in einem solchen Moment nicht dankbar für sein Leben ist, für den gerade erlebten Flug und das damit verbundene Privileg sowieso, wer nicht sogleich schwört, vor lauter Dankbarkeit, so viel Schönes sehen zu dürfen – und sei es nur für ein paar Sekunden – der hat nie gelebt oder weiß nicht, was Leben bedeutet.
Und in der Tat sah ich an diesem Tag viel Neues. Schon nach dem Start drehte ich Richtung Schwarzwald, nahm es mit einer Wolkenstraße auf, die mich immer weiter über die grüne Hügellandschaft zog. Südlich am Feldberg leitete sie mich in ein bislang unbekanntes Gebiet. Ich konnte meine Aufregung kaum bändigen, so sehr war ich erfreut, dort hinfliegen zu können, wo ich noch nie gewesen bin. Ein wenige später sah ich den Rhein, das Kernkraftwerk bei Waldshut und erhielt eine Warnung, nicht in die TMA Zürich einzufliegen.
Weit konnte ich in die Schweiz blicken, sah den Züricher See, weit sah ich nach Frankreich. Überall hin zog es mich zugleich, aber Luftraumbeschränkungen und fehlendes Kartenmateriel verhinderten in beiden Fällen einen Einflug ins Nachbarland. Dafür querte ich den Flugplatz Hotzenwald, der wunderschön an einer Klippe liegt, sah die beiden großen Wasserspeicher im Südschwarzwald und dachte an meine liebe Kollegen Eduard Heindl, den Erfinder des Lageenergiespeichers.
Einmal verbastelt wurde es bei der hier vorfindbaren Bodenbeschaffenheit schnell ungemütlich. 500 Meter über Grund fühlen sich über dem Hotzenwald nicht wirklich prickelnd an. Doch immer wieder packte mich ein starker Aufwind. Nun wollte ich nach Norden, flog am Feldberg vorbei, kreiste mit einem Paraglider, machte schnell ein paar Fotos und peilte dann eine Wolke über Furtwangen an. Das war dann schnell auch die letzte, ich musste nun am Ostrand des Schwarzwaldes entlang fliegen, da der Hauptkamm keine Wolken mehr produzierte.
Obwohl ich diese Gegend nun mittlerweile kannte, machte es mir doch immer wieder Freude, der Schwarzwald ist einfach eine Augenweide. Trotzdem packte mich der Ehrgeiz und ich versuchte in die Alb einzusteigen, was dank der guten Thermik auch problemlos gelang, die Basis stieg noch an. Diese Strecke kannte ich von meiner Zeit mit dem Mini Nimbus, ich flog unter einer Wolkenstraße entlang und traf mehr Flieger, als mir lieb war, darunter einen Taurus und einen Bergfalken. Wie viele Jahrzehnte liegen zwischen diesen beiden Konzepte? Wie viele Sehnsüchte, erfüllte und enttäuschte? 1986 hatte ich auf Burg Feuerstein auf einem Bergfalken geschult, nach 10 Tagen und 37 Starts durfte ich zum ersten Mal in meinem Leben alleine ein Flugzeug fliegen. Eckdaten, die sich einbrennen, mehr noch als die Abi-Note. Und heute gibt es so wunderbare Flugzeuge wie den Taurus oder den Apis 2. Die Zeiten haben sich geändert, doch dort oben unter der Wolke trafen Vergangenheit und Zukunft aufeinander, umkreisten sich spielerisch und konfliktfrei und trennten  sich dann wieder, um ihre je eigenen Wege zurückzulegen. Gemeinsam unter einer Wolke zu kreisen, kann ein wenige Epistemologie am Himmel bedeuten.
Über Ulm wollte ich unbedingt noch eine Wolke testen. Wie immer in solchen Fällen, wo man unbedingt etwas will, erwies sich der Entschluss als falsch. Wer ungeduldig ist, macht Fehler. Ich hatte Mühe, nochmals Anschluss zu finden und dann die 110 Kilometer zurück gegen den Wind aus Westen zurück zu legen. Denn das ist das Einzige, was der Apis 2 nicht mag: Gegenwind. Ein paar Drachenflieger und andere Segelflieger markierten mir aber die Thermik in Richtung Donaueschingen. Noch einmal sah ich mir recht tief einen Steinbruch bei Rottweil an, nur um dann von einem tollen Aufwind aus der Senke gehoben zu werden, reif für den Endanflug, der dann durch eine Wolkenstraße direkt in Flugrichtung zu einem einzigen Spaß wurde. Nach sieben Stunden landete ich überglücklich, soviel ist sicher. Was an diesem Tag schöner war, der Flug oder die goldene Landschaft blieb hingegen unklar. 

22. Juni 2012

Wolke, küss mich


Einer dieser Tage, an denen das Wetter letztlich doch ganz anders aussieht als angesagt. Wie so oft in diesem Jahr. Oder liegt es vielleicht nur ein meiner Wahrnehmung? Fragen wie diese lassen sich nicht wirklich abschließend beantworten.
Jedenfalls genieße ich das Privileg an einem Freitag zu fliegen, unbelastet durch die ganz triebgesteuerten Sonntagsflieger. Mittlerweile meide ich Sonn- und Feiertage, wenn immer das möglich ist. Es macht mir Spaß, nach relativ langer Zeit, meinen Flieger mal wieder aufzubauen (das Wort „aufrüsten“, wie in Segelfliegerkreise üblich, zeigt nur deren Hang zum Paramilitärischen, ich vermeide den Begriff lieber...). Es ist recht windig, von Westen, dass war mir schon klar, als ich die flatternden Fahnen im Industriegebiet sah. Dennoch: ich will fliegen. Und mit diesem Wollen beginnt ja bekanntlich alles.
Nach dem problemlosen Start – der Motor schnurrt wieder sehr zuverlässig – suche ich mir recht schnell eine hilfsbereite Wolke, fahre den Motor ein und finde mich gleich in einem grandiosen Lift. Thermik scheint es zu geben, nur die Wolken fehlen. Ich sehe einige im Nordschwarzwald, doch bis dorthin ist es noch weit.
Am Ostrand des Schwarzwaldes taste ich mich voran, immer auf der Hut, nicht wirklich tief zu kommen, bei Blauthermik macht das nicht wirklich Spaß. Doch das Vorankommen erweist sich als angenehmer und leichter als gedacht. Einerseits, weil mein Apis 2 auch in turbulenter Luft brettgerade und ruhig fliegt. Das weiß ich inzwischen immer mehr zu schätzen. Andererseits, weil die Thermik fast immer da ist, wo ich sie erwarte.
Nur die Wolken ärgern mich. Immer wenn ich gerade denke, ich könnte die nächste, die im Norden steht, erwischen, hat die sich längst aufgelöst, wenn ich ankomme. So muss ich mich im Blauen weiter vorantasten. Ich fliege heute das erste Mal mit meinem neuen isolierten Trinkbeutel, erschrecke aber, als aus dem Mundstück kein Wasser kommt. Als ich mir vorstelle, mehrere Stunden bei dieser Hitze und blauem Himmel zu fliegen, ohne etwas trinken zu können, wird mir ganz anders. Irgendwann, beim dritten oder vierten Versuch, merke ich, dass es einen Unterschied macht, wie ich das Mundstück in den Mund nehme, um daran zu ziehen. Irgendwie hat mich wohl mein Reptilienhirn doch zum Erfolg gebracht und einen alten Saugreflex aktiviert.
Das Fliegen wird immer angenehmer, schon bald bin am Ende des Schwarzwaldes und kehre um. Immer wieder sind die Wolken gerade dann weg, wenn ich sie schon greifbar nahe sehe. So kommt mir der ganze Flug vor, wie die Sehnsucht nach einem Kuss, der dann doch immer wieder, kurz vor der Berührung der Münder, entzogen wird. Aber auch das kann ja bekanntlich lustvoll sein.
Am frühen Abend bin ich dann wieder in Donaueschingen zurück, lande und verpacke meinen Apis 2 für den nächsten Tag, der Wille, noch einen Tag lang zu fliegen ist erwacht, die Zeit soll nun genutzt werden.

2. Juni 2012

Licht und Schatten


Das Thema des heutigen Fluges zu finden, fiel mir nicht schwer. Mal flog ich unter dunkeln Wolken, einige hatten sich zu einer Ahnung von Wolkenstraßen zusammengefunden. Dann wieder riss die Abschirmung auf und schlagartig wurde es heller um mich, das Wolkenbild änderte sich, indem einzelne große Wolken neu entstanden, mit scharfer Unterkante, so, wie Segelflieger es lieben.
Der Flug war eigentlich nicht geplant. Und meist sind das die schönsten Flüge. Jedenfalls entspricht es der Philosophie des freien Fluges viel mehr, als das Abspulen durchgestylter Streckenverläufe. Heute startete ich in Mengen, nachdem einige Kleinigkeiten am Apis 2 repariert worden waren. Es war schon spät, fast Nachmittag, alle Eigenstarter waren während der Reparatur über mich hinweg gebraust. Einige Schmuckstücke darunter.
Mir war für heute nur wichtig, dass der Motor wieder gut lief, der Start war klasse, keine Probleme. Ich war wieder zufrieden mit mir und der Welt. Immer wieder wundere ich mich darüber, wie sehr Stimmungen doch vom Zustand des Flugzeuges und noch viel mehr vom Wetter des Tages abhängen können. Herrschaft gutes, d.h. fliegbares Wetter, das Flugzeug ist aber nicht einsatzbereit (was vorkommen kann), dann wird die Segelfliegerseele gequält.
Nach dem Flug, der weitgehend ohne besondere Höhepunkte verlief, was in diesem Fall aber als ein Qualitätsmerkmal zu verstehen ist, rollte ich an der Wezel-Halle aus und schob den Flieger über das frisch gemähte Gras zu meinem offenen Hänger. Es ist schön, wie einfach das geht, ohne mich zu plagen. Dann gönne ich mir ein Ritual, dass ich lange vergessen hatte, mir aber unglaublich gut tut. Ich stelle mein Auto neben den Flieger, drehe das Radio laut auf und schlürfe an dem Cappuccino, den ich mir zwischenzeitlich in der Flughafenkneipe besorgt habe. Langsam, ganz langsam baue ich Batterie und Geräte aus, sprühe das Leitwerk mit Kaltreiniger ein, lassen ihn einwirken. Ich arbeite ohne innere Stoppuhr, muss niemandem beweisen, wie schnell und effizient ich abrüsten kann. Ich ziehe mir das T-Shirt aus, da die Sonne noch warm ist, aber nicht mehr brennt. Gemächlich und gründlich wasche ich dann das Leitwerk und die Flächen. Es geht nicht allein um die Sauberkeit, es geht darum, dass frische Wasser zu riechen, das Gras, das meditative Abledern der Flächen. Alles Bewegungen, die sich seit vielen, vielen Jahren auf so vielen Flugplätzen vollzogen haben und die ebenso zum Fliegen gehören wie das Fliegen selbst. Sie gehören zum Gefühl, Teil dessen zu sein, was wir verkürzt „Segelfliegen“ nennen. Zusammen mit anderen herumstehen und über die geflogenen Strecken zu reden, zu prahlen oder Ähnliches, ist für mich nicht mehr Teil des Ganzen. Daher bin ich froh, den Apis 2 zu haben, der mich davon befreit. Ich kann es tun, muss es aber nicht. Darin liegt der Unterschied.
Später, nachdem ich das Ritual beendet habe und den Flieger alleine abgerüstet habe, sitze ich am nahegelegenen See und trinke ein alkoholfreies Bier. Ich muss schließlich noch nach Hause fahren und außerdem tut mir der Alkohol nicht gut, er steigt mir nach einem Flug zu schnell in den Kopf.
Ich rechne: 13 Stunden werde ich heute unterwegs gewesen sein, davon bin ich knapp 4 Stunden geflogen. Vor 20 Jahren wäre ich an einem solchen Tag komplett aus dem Häuschen gewesen, damals lag die durchschnittliche Flugdauer im Verein im Bereich von Minuten. Heute hört sich das nach einem eher schlechten Wirkungsgrad an. Aber wer rechnet schon gerne so? Niemand, wenn man es genau nimmt. Wir neigen alle zum Selbstbetrug und wahrscheinlich ist das auch gut so. Am Ende bleiben immer die Flüge und damit mit Flugstunden im Gedächtnis, nicht die Fahrtzeit, die Reparaturzeit, die Herumstehzeit oder sonstige Kontextzeiten. Es kommt einfach nur darauf an, ob es das Ganze wert war. Am Ende bleibt immer das Licht, nie der Schatten.

30. Mai 2012

Nachdrehen


Nachdem das Gewitter durchgezogen war, stieg ich auf mein Rad und fuhr die kleine Runde am Stausee vorbei. Nicht sehr sportlich, aber immerhin. Ein paar Tage vorher wanderten meine Frau und ich zwei Tage lang durch den Schwarzwald, 1000 Höhenmeter, mindestens. Zu Fuß und mit Rucksack. In dieser Woche hatte ich fast jede Fortbewegungsart durch, vielleicht fehlte noch der Lama-Express.
Gestern entschloss ich mich sehr spät dazu, noch fliegen zu gehen. Zwischen der Entscheidung und der Tat standen dann noch zwei Stunden Fahrt nach Mengen (dort stand mein Apis 2) und das übliche Prozedere (Aufrüsten, checken usw.). Erstaunlicherweise ging das alles sehr relaxed von sich. Marion, meine Frau, war in meiner Nähe, das beruhigt mich immer.
Kurz nach 14 Uhr konnte ich dann starten. Noch vor zwei Jahren hätte ich einen Nervenzusammenbruch erlitten. Seit 10 oder 11 Uhr standen die Cumuli sauber gereiht am Himmel. Mindestens drei Stunden Flugzeit waren mir inzwischen verloren gegangen. Aber mir ging es heute nicht um schnöde OLC-Punkte. Sollten doch andere die Tabelle mit ihren ach so vergänglichen Daten füllen. Ich wollte einfach fliegen! In die Luft und genießen.
So war es dann auch. Kurz nach dem Eigenstart kurbelte ich mit noch laufendem Motor in bester Thermik. Zumindest ein Vorteil eines späten Starts. Wozu noch den Motor laufen lassen, fragte ich mich. Also aus, rein in den Kofferraum und dann los. Wohin? Natürlich Richtung Schwarzwald, meiner Wahlheimat. Die Wolkenbasis war schlicht atemberaubend, es mag gut fünf Jahre her sein, seit ich das letzte Mal eine solche Höhe (über dem Meeresspiegel) erreicht habe. Entsprechend einfach war es, selbst mit dem Leichtgewicht Apis 2, gegen den Wind nach Westen anzufliegen. Eine Wolke und ich war über Neuhausen ob Eck, die nächste katapultierte mich schon nach Donaueschingen. Ich flog darüber hinweg, weiter in den Schwarzwald hinein. Der Feldberg lag thermisch ungünstig, also steuerte ich den Kandel an, über die Linacher Staumauer, an der ich heute entlang radelte, über Furtwangen, meinen Wohnort.
Mittlerweile hatte sich eine gigantische Wolkenstraße nach Norden hin aufgebaut. Ich musste einfach dort hin. Zunächst war das kein Problem. Nur ein paar schnelle Einsitzer und Doppelsitzer kamen mir muskelbepackt entgegen. Wie gerade aus dem Fitnessstudio kommend, pumpten sie sich unter der Wolke hoch. Ich flog in die andere Richtung, nach Norden. Mit weniger Muskeln, dafür umso mehr Zuversicht.
Doch das war nicht so ideal. Dachte ich gerade noch, dass es unter dieser dunklen Wolkenstraße gewiss ziehen muss, so wurde ich kurz darauf eines Besseren belehrt, als sich die ersten Regentropfen auf meiner Scheibe sammelten. Auf den Flächen rechts und links sowieso. Das war also ein Fehler. Im Regen herrscht selten gutes Steigen. Also nichts wie raus hier, Schwarzwald adé. Ich biege ab nach Osten. Unter der dunklen Basis erkenne ich das Zementwerk bei Rottweil, immerhin könnte ich dort landen. Eine Wolke steht dort in der Nähe. Weit, weit weg. Über mir zieht 200 Meter höher ein 18 Meter-Flieger an mir vorbei, auch er will raus aus der dunklen Brühe, auch er will zu dieser rettenden Wolke. Ein Moment, in dem ich eine Art Groll verspüre. Denn der Unterschied besteht darin, dass er ein paar echte Gleitpunkte mehr hat als ich. Aber immerhin kann ich den besseren Flieger als Thermikboje nutzen. Ich komme später an und viel, viel tiefer. Aber ich weiß, wo ich steigen kann, dank meines Vorausfliegers.
Wieder über der Alb wird das Wetter immer traumhafter. Ruck Zuck bin ich dank der gigantischen Basishöhen wieder im Gleitbereich von Mengen, eigentlich total unsportlich. Also biege ich ab Richtung Bodensee. Gerade als ich überlege, wie wohl die Jets in Friedrichshafen anfliegen, sehe ich unter mir eine Maschine von German Wings, kurz darauf eine der Lufthansa über mir. Also lieber nach Norden, obwohl ich so gerne zum Säntis und zurück geflogen wäre. Mühelos steige ich, mühelos "jette" auch ich, soweit es mein UL-Segelflieger und seine Belastungsgrenzen zulässt, zwischen Riesenwolken hin- und her. Rauschhaft wirkt das Ganze, wie in Ekstase.
Irgendwann ist dieser Rausch zu Ende, lange nach 19 Uhr lande ich dann. Ich freue mich auf die Wärme des Vorsommers, einen Abend am See mit meiner Frau. Das Waschen des Fliegers ist mein liebstes, mein heiligstes Ritual nach einem solchen Flug.
Spät nachts kommen wir zu Hause an, ich dusche und falle müde ins Bett. Aber dieser Tag, dieser Flug endet noch nicht. Es sind Flüge wie dieser, die noch lange weitergehen. Ich fliege weiter im Kopf, kann nicht anders, die Bilder tauchen immer wieder auf, die Eindrücke von Licht, Kontrasten, erlebten Gefühle zwischen Frust und Lust. Ich drehe immer weiter, bis zum Aufwachen. Das war, in diesen Dimensionen gemessen, einer meiner längsten Flüge.

14. Mai 2012

Rock'n Roll


Der Flug begann mit Rock’n Roll, ganz unterwartet. Die Luft über dem Schwarzwald kochte. Und ich nutzte die Gunst der Stunde, obwohl ich noch nicht wirklich eingeflogen war in dieser Saison. So hoch standen die Wolken, dass ich mich mühelos in die Hügellandschaft traute, die aus dieser Höhe eher flach wirkte. Wie immer ein faszinierendes Spiel mit der Perspektive.
Voran, voran, das war mein Refrain. Ich querte den Schwarzwald Richtung Freiburg, flog knapp an der Westkante über Offenburg nach Baden-Baden. Jeder Fleck Landschaft unter mir, den ich noch nie oder noch nie aus dieser Perspektive gesehen hatte, entlockte mir Freudenrufe und ein Hochgefühl. Genau das wollte ich: nicht nur Kilometer abspulen und in abstrakte Punkte und Listenplätze umwandeln, sondern neue Horizonte entdecken. Mit diesem Flug war ich mal wieder auf den Geschmack gekommen.
Schon war der Schwarzwald im Norden zu Ende und lief aus. Ich hatte kaum gemerkt, wie ich ihn überflogen hatte. Kurz vor Pforzheim wendete ich und peilte dann die Albkante an. Diesmal hatte ich dann den Schwarzwald als Kulisse in einiger Entfernung. Ein Flug, der mir unerwartet viel Leichtigkeit brachte und so ging es dann weiter.
Gleich am nächsten Tag, einem Montag, saß ich wieder im Flieger. Ich hatte einige Termine umsortiert, was nicht ganz einfach gewesen war, aber ich wollte einfach fliegen. Es war total blau. Aber was für ein Blau! Es ging hinauf in Höhen, von denen ich sonst nur zu träumen gewagt hätte. Was für ein Fliegerfrühjahr hier über meiner Wahlheimat. Erst fliege ich träge vor mich hin, dann packt mich der Rausch. Ein Muster, das ich inzwischen kenne. Erst muss ein Ziel gesetzt werden, dann geht es richtig los!
Ich fliege immer wieder auch tiefer und nutze die Zeit, mir die Landschaft einzuprägen. Ein kleiner Schatten über einem größeren Waldstück erregt meine Aufmerksamkeit. Es ist der Schatten einer Wolke, die kaum als solche zu erkennen, sich langsam herausbildet. Ein Lebenszyklus, der für Flieger eine ganz sonderbare Attraktion hat. Der Schatten wird größer, man würde ihn nie mit der winzigen Ansammlung an Wolkigkeit in Zusammenhang bringen, so hoch schwebt das, was einmal groß und mächtig werden wird, über dem Boden. Doch ich lassen meinen Blick nicht los davon, so schön sind Wolkenbild und Bodenschatten.
In diesem Moment muss ich an Hesse denken, wie er zufrieden von seinem Ruderboot erzählt. Er rudert eines Tages auf den See und lässt sich einfach treiben. Ihm ist egal, was die anderen von ihm und seinem kleinen Boot halten. Die Genussfähigkeit ist mit Einfachheit gekoppelt, nicht mit Komplexität. Dieses Bild des rudernden und rundum zufriedenen Dichters, kommt mir immer wieder in den Sinn. Es war einmal das Leitbild, das mich dazu gebracht hat, auf einen UL-Segelflieger umzusteigen.
So einfach wie ein Ruderboot ist dessen Technik dann doch nicht. Mein Motor machte mir beim Start Probleme. Nach der Landung entschließe ich mich zu einem erneuten Probestart. Mit reduzierter Kraft schleppe ich mich in die Höhe, dann geht der Motor nicht mehr aus. Ich erbitte Direktanflug auf die 36 Gras und lande mit laufendem Motor. Da ich in letzter Zeit viele Unfallberichte gelesen hatte, muss ich immer an den Satz denken: „Fliege das Flugzeug“. So lasse ich mich von den Umständen nicht mehr als notwendig ablenken und lande sicher. Der Apis 2 verhält sich auch mit ausgefahrenem Motor völlig unproblematisch. Das schafft großes Vertrauen. Trotzdem muss ich noch am selben Abend nach Mengen fahren und meinen Flieger dort zur Reparatur abgeben. Damit ist dieser Song vorerst einmal zu Ende.

28. April 2012

Meine Welt


Das also ist meine Welt von oben. Sie ist wunderschön und doch bin ich irritiert. Was mache ich eigentlich hier? Ich kreise über dem Feldberg, dort liegt noch Schnee. Heute morgen konnte ich schon auf der Terrasse frühstücken. Vom Wintermantel in das T-Shirt – so ist das im Schwarzwald. Nun blicke ich trotz des dunstigen Wetters weit nach Westen über das Rheintal, das tief unter mir liegt, in Richtung Vogesen. Im Süden schälen sich die Alpen aus dem Dunst, eine Sperrzone, die unüberwindbar wirkt, die es aber für uns Flieger nicht wirklich ist.
Mein kleiner Apis 2 hat sich gut geschlagen. Er hat mich da abgeholt, wo ich ihn beim letzten Flug im September letzten Jahres verlassen musste. Alles fühlt sich so wohlig an, als läge der letzte Flug gerade mal eine Woche und nicht eine unendliche Sehnsuchtsstrecke zurück. Ich gebe Gas und beschleunige am Startplatz der Segelflieger vorbei, die auf das nächste Schleppseil warten. Der Himmel ist blau, mit guter Thermik in Bodennähe ist wohl nicht zu rechnen, also gönne ich mir 800 Meter Steigen aus dem Tank und spüre dann, wie der rechte Flügel zuckt und das Variometer auf gutes Steigen umspringt. Vertrauensvoll fahre ich den Motor ein. Kurz danach herrscht Ruhe und Wohlbefinden.
Das Wohlbefinden will gar nicht aufhören. Angesagt waren 2.300 Meter Basis. Ich aber steige und steige und steige. Bei 2.500 Meter freue ich noch, die Prognose eingeholt zu haben. Aber es geht immer weiter. Für einen Moment fange ich an zu träumen. Was wäre wenn... es immer weiter so ginge? Es ist verblüffend und schön zugleich. Erst bei 3.100 Meter habe ich das Gefühl, dass ich nun zur Abwechslung auch mal Geradeaus fliegen könnte.
Aus diesem Logenplatz wirkt der Schwarzwald wie eine sanfte Hügellandschaft. Der Feldberg erscheint mir als nette Schneekuppe. Nach einigem Suchen reißt mich dort ein Bart mit Spitzenwerten über 5 m/s wieder in Richtung All (so fühlt es sich jedenfalls an).
Ich genieße die vielen Panoramen und bin einfach nur dankbar. Dies also ist meine Welt. Furtwangen sehe ich, ich könnte mit einem kleinen Schlenker nach Norden hinüber gleiten und eine Runde über den Tal-einschnitt drehen, den ich inzwischen gut kenne. Dies also ist meine Welt, die Welt, die es mir in den letzten Wochen immer wieder so schwer machte, zum Fliegen zu kommen. Die mich fast all meine Kraft kostete. Nun liegt sie unter mir, die Konflikte, die mich sonst so quälen sind nur noch Teil des Reliefs, das mir die wunderschöne Kulisse für meinen Ausflug liefert.
Ich fühle tiefe Dankbarkeit in mir. Dankbarkeit für meine liebe Frau, die mir diesen Luxus ermöglicht, die mich heute hat ziehen lassen, obwohl sie sicher auch eigene Pläne hatte. Dankbarkeit für die Gnade, zur richtigen Zeit in der richtigen Weltgegend geboren worden und frei von echten Sorgen zu sein. Und Dankbarkeit für einen der tollsten Berufe der Welt, der mir trotz vielerlei Ärgers doch Freiheiten gewährt. Man redet ja viel von Freiheiten in Bezug auf das Fliegen. Doch allein das Fliegen macht niemanden frei. Es ist eine große Illusion, an die wir alle, die wir dem Virus dieses Sports verfallen sind, glauben.
Während ich über die Notwendigkeit nachdenke, öfter Dankbarkeit zu empfinden und das Privileg unseres Lebens nicht als Selbstverständlichkeit abzutun, drehe ich langsam nach Osten und fliege am Schluchsee vorbei, auf dem viele kleine weiße Segel davon künden, dass nun auch mitten im Schwarzwald der Sommer angekommen ist. Ich freue mich mit den Menschen, die dort unten Brise um Brise vorankommen und gleite, nur von einem Schweizer Supersegler überholt, ruhig in Richtung Bodensee und dann zurück zu meinem Startplatz. Eigentlich möchte ich landen, doch dann packt mich noch ein Aufwind mit einer solchen Wucht, dass ich es kaum glauben kann. Also gebe ich nach und lasse mich einfach mit der Thermik nach oben tragen. So leicht geht das heute, dass ich ernsthaft über den Einbau eines Radios in meinen Apis 2 nachdenke, denn ein wenig Musik wäre hier in 3.000 Meter etwas Feines.
Irgendwann schaffe ich es dann bei dem inzwischen aufgefrischten Wind zu landen und baue meinen Flieger mühelos ab. Auf dem Heimweg finde ich Gelegenheit, das Radio anzudrehen. Die Sonne blendet mich, aber das kann mich nicht stören. Nach einem so schönen Flug fahre ich glücklich wieder in meine Welt.